Zehra Türkmen ist die Ehefrau von dem bis vor Kurzem verschollenen Gökhan Türkmen. Nach neun Monaten Trennung und zerreißender Ungewissheit, hat sich das Ehepaar in dieser Woche erstmals wieder getroffen. Die mutige Frau erzählt nun über ihre Beobachtungen von ihrem Ehemann, den sie nur in Anwesenheit von Polizisten sehen durfte.
BOLD – Die schwersten Verbrechen des Erdoğan-Regimes gegen die Mitglieder der Gülen-Bewegung sind die Entführungen von Personen sowie schwere körperliche und psychische Folter gegen sie. Einer von ihnen ist Gökhan Türkmen. Neun Monate lang war er verschollen und tauchte dann vor kurzem plötzlich auf einer Polizeiwache in Ankara wieder auf. Nach Aussagen seiner Frau Zehra Türkmen wurde ihr Mann schwer misshandelt und gefoltert. Das sagt die Ehefrau nachdem sie ihren Mann unter Polizeibeobachtung endlich wieder sehen durfte. Vor der Tür stand eine Person und hinter ihnen zwei weitere Beamte. „Es war keine echte Möglichkeit gegeben frei zu reden“, schildert Türkmen die Situation des ersten Wiedersehens.
„Mein Mann hat extrem abgenommen. Er war dünner als ich es erwartet hätte. Seine Hände waren enorm blass. Seine Ängstlichkeit bekam man permanent zu spüren. Er sagte andauernd: „denk an die Kinder“. Danach sagte er mir, dass ich nichts mehr auf Twitter teilen soll“ erzählt Zehra Türkmen über ihren Mann. Er wolle keinen Anwalt und sie solle alle Anträge vor den Vereinten Nationen und vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zurückziehen. Laut Zehra Türkmen reden alle entführten und wieder freigelassenen Männer mit ihren Ehefrauen auf diese Weise. Sie habe ihrem Mann gesagt, dass sie keines der Anträge zurückziehen werde. „Wir können sie nach diesen neun Monaten doch nicht einfach so davonkommen lassen“, so die wütende Ehefrau.
WIRST DU AUF MICH WARTEN?
Ihr Mann habe sie verlegen gefragt, ob sie auf ihn warten werde. Ihre Antwort war entschieden, „Natürlich werde ich auf dich warten!“. Ich habe ihm gesagt, dass es nicht so lange dauern wird, wie er es womöglich annimmt. „Und wenn schon, ganz gleich wie lange das auch dauern mag. Wir stehen hinter dir und an deiner Seite!“.
ICH HATTE DIE HOFFNUNG VERLOREN
Obschon die verbitterte Ehefrau ihrem Mann beim ersten Termin Hoffnung gemacht hat, gibt sie unserer Redaktion zu, dass sie eigentlich die Hoffnung für ein Wiedersehen mit ihrem Mann verloren hatte. „Mein Mann war der Erste unter den Entführten sechs im Februar. Die anderen tauchten wieder auf, doch von meinem Mann gab es weiterhin keine Spur. Sie haben mir neun Monate nach seiner Entführung erstmals gesagt, dass er lebt.“ Zuvor habe sie sich ständig gefragt, ob ihr Mann noch lebe. Heute plagen sie stattdessen andere Fragen. „Geht es ihm gesundheitlich wirklich gut, hat er möglicherweise Folgeschäden? Wie sieht es aus mit seiner Psyche?“ Dennoch sei die größte Qual, die Frage danach ob er lebt oder nicht nun ad acta.
ZEHRA TÜRKMEN WAR SELBER NEUN MONATE IN HAFT
Die Ehefrau des Entführten war selbst bereits neun Monate lang im Gefängnis, von ihren Kindern getrennt. „Unsere Kinder sind noch klein. Eines ist sechs, das andere ist 11 Jahre alt. Ich habe ihnen nicht gesagt, dass ihr Vater entführt wurde. Aber sie haben Auffälligkeiten entwickelt. Etwa das Kauen an den Fingernägeln, extreme Angst und Konzentrationsschwäche. Mein Sohn kann nicht einmal alleine auf die Toilette.“ Sie wurde zwar auf Bewährung freigelassen, wurde aber zu insgesamt sechs Jahren verurteilt.
ICH WERDE DEN RECHTSWEG ABARBEITEN
Es sei wichtig, dass ihr Mann lebt und wieder aufgetaucht ist. Doch nun werde ein anderer Kampf beginnen. Zehra Türkmen will den Rechtsweg bis zum Schluss abarbeiten, „Ganz gleich, bis vor welches internationale Gericht das auch gehen mag.“ Sie sei entschlossen, vor jede Instanz zu gehen.
SECHS PERSONEN WIEDER AUFGETAUCHT, EINER FEHLT NOCH
Der am 7. Februar 2019 entführte Gökhan Türkmen ist Chemiker. Mit Türkmen wurden im Februar diesen Jahres auch Yasin Ugan, Özgür Kaya, Salim Zeybek, Erkan Irmak ve Mustafa Yılmaz entführt. Alle im Februar entführten Personen sind somit wieder aufgetaucht. Ausgeschlossen Yusuf Bilge Tunç, der seit August diesen Jahres verschwunden ist. Er befindet sich womöglich noch immer in diesem Folterzentrum.