Schon der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan bezeichnete den Putschversuch vom 15. Juli 2016 als ein Geschenk Gottes. Auf dieser Grundlage hat Erdoğan für eine Säuberung des Staatsapparates von den Anhängern der Gülen-Bewegung gesorgt. Eine ähnliche Aussage kam nun von Erdoğans Berater und seinem stellvertretenden AKP Vorsitzenden Numan Kurtulmuş.
BOLD — In einem Video auf YouTube sprach Kurtulmuş über das harte Vorgehen seiner Regierung gegen tatsächliche und mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung. Er reagierte auf eine Kritik, dass nach dem Putschversuch ca. 150.000 Menschen aus dem staatlichen Dienst entlassen wurden. Ohne extreme Maßnahmen und stattdessen mit einem Rauswurf auf normalem Wege hätte eine Säuberung bis 2020, wenn nicht sogar bis 2030 gedauert, so der Partei-Vize.
Kurtulmuş wies bei seiner Ausführung darauf hin, dass die Prozesse noch weitergehen würden. Noch in der vergangenen Woche seien weitere Urteile zu lebenslanger Haft gefällt worden. „Der Staat hat aus Zwecken der Selbstverteidigung auf Ausnahmemaßnahmen zurückgegriffen.“ Laut Kurtulmuş habe man ein Mechanismus eingerichtet, womit sich vom Staatsdienst suspendierte Personen gegen die Entscheidung wehren können. „Betroffene können zu dieser Instanz gehen und gegen ihre Entlassung widersprechen,“ so der frühere Erdoğan-Gegner.
Kurtulmuş: „Freispruch bedeutet nicht, kein Mitglied der Terrororganisation zu sein“
Doch in der Sendung auf der beliebten Streaming-Plattform gab es weitere Kritik. Selbst Personen, die verhaftet waren und vor Gerichten freigesprochen wurden, hätten keinen Erfolg mit ihren Widersprüchen vor der besagten Instanz. Die Antwort von Numan Kurtulmuş auf diesen Vorstoß fiel erstaunlich aus.
„Es gibt keine eins-zu-eins Verbindung zum richterlichen Freispruch einer Person und dessen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation. Eine Person kann von einer Anschuldigung freigesprochen werden, doch das bedeutet nicht automatisch, dass sie keine Mitglieder solcher Organisationen sind“. Die Mitgliedschaft belege man ohnehin mit anderen Beweismitteln. Laut Kurtulmuş sei es durchaus möglich, Mitglied zu sein, aber keine Straftat begangen zu haben.
Türkisches Gesetz: Mitgliedschaft in einer Terrororganisation klare Straftat
Ein Blick in die Gesetzestexte der Türkei macht allerdings eines deutlich: Die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation ist eine Straftat, die mit mindestens 6,5 Jahren Haft bestraft wird .
Doch Tausende Personen, die verhaftet, verurteilt und im Zuge dessen freigesprochen wurden, werden trotz dessen nicht zu ihren ehemaligen Arbeitsplätzen zurückkehren. Experten vermuten, dass der Staat eine sogenannte Blacklist führt. Einmal in der Blacklist gelandet, spielt es keine Rolle mehr, ob man vom Gericht für schuldig erklärt wird und seine Strafe absitzt oder freigesprochen wird. Sie haben keine Chance zu ihrem einstigen Arbeitsplatz zurückzukehren.
Fatih Murat Coşkun ist einer von ihnen. Der per Dekret entlassene Coşkun wurde nach dem 15. Juli festgenommen und verweilte zunächst ohne eine Anklage für insgesamt 8 Monate im Gefängnis. Vor Gericht wurde er anschließend freigesprochen und hatte damit einen Beleg, kein Mitglied einer Terrororganisation zu sein. Dennoch konnte Murat Coşkun wie viele weiter auch nicht zu seinem alten Arbeitsplatz zurückkehren.