Vor dem NATO-Gipfel hatte Erdoğan gedroht, er werde alles blockieren, wenn die Mitgliedsstaaten seinen Forderungen nachkommen. Später hat sich herausgestellt, dass der mächtige Mann aus Ankara quer geschossen hat. Warum?
Eine Analyse von Fatih Yurtsever
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan zieht sein Kalkül immer witer durch. Vor dem NATO Gipfel hatte der Vorsitzende der türkische Regierungspartei AKP damit gedroht, den Plan für die Verteidigung von Polen und der baltischen Staaten von einer Anerkennung der kurdischen Volksverteidigungseinheit YPG als Terrororganisation abhängig zu machen.
Jeder hatte diesbezüglich einen angespannten Gipfel mit viel Diskussion erwartet. Doch wie der Ministerpräsident Litauens erklärte, gab es keinerlei Reibungen. Die Türkei habe den Plan zur Verteidigung von Polen und der baltischen Staaten ohne Weiteres akzeptiert.
Der amtierende NATO Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach nach dem Gipfel auf einer Pressekonferenz und war sehr deutlich. Demnach sei das Thema YPG und eine Anerkennung als Terrororganisation überhaupt nicht thematisiert worden. Doch warum hat der türkische Präsident Erdoğan dieses Thema vor dem Gipfel so sehr an die große Glocke gehangen?
Vor dem Gipfel machte auch der französische Präsident Emmanuel Macron Ankündigungen. Dabei sollte es zu schwerer Kritik gegenüber der Nord-Syrien Offensive der Türkei und dem Kauf von S-400 Raketen von Russland kommen. All dies zeichnete einen turbulenten Gipfel aus.
Alle Analysten gingen von einer Türkei-zentrierten Krisen-Atmosphäre aus. Die Aussage Macrons, wonach die NATO einen “Hirntod” erlitten hätte, steigerte diese Anspannung noch weiter.
In einer Phase, in der sich die Türkei Russland so weit annähert, wie nie zuvor, ist es das gemeinsame Interesse der USA und den EU-Staaten, die Türkei unbedingt in der NATO zu halten. Und der türkische Präsident Erdoğan und sein nächstes Umfeld wissen das ganz genau.
Und so kommt es. Erdoğan und das ewig alte Lied: Der erfahrene Politiker regiert die Türkei mit abwechselnden Anspannungen und diese Strategie wendet er auch auf internationaler Bühne an.
Mit der Drohung, die Tagesordnung der NATO zu blockieren, hat Erdoğan die Kritik gegenüber seinem Kauf der S-400 Raketen von Russland und seiner Nord-Syrien Offensive blockiert.
Die türkische Bevölkerung hat sich mittlerweile an die geplanten Spannungssteigerungen Erdoğans gewöhnt. Die Gewöhnungsphase der Führer anderer Länder wird wohl noch seine Zeit in Anspruch nehmen.