29 Personen waren seit Anfang 2016 spurlos verschwunden. Von einigen dieser Personen hatte man lange Zeit nichts gehört. Dazu gehörte auch Zabit Kişi. Kişi hat jetzt seine Zeit in einem geheimen Foltergefängnis schriftlich festgehalten und Strafanzeige gestellt. Darin erhebt er schwere Foltervorwürfe gegen den türkischen Staat.
Cevheri Güven
BOLD/ EXKLUSIV
Folter und die Türkei: In allen offiziellen Aussagen türkischer Regierungsvertreter wird das stets bestritten, wie zuletzt in der Diskussionssendung “Conflict Zone” der Deutschen Welle deutlich wurde, als Ibrahim Kalin, Sprecher des türkischen Präsidenten von dem erfahrenen Journalisten Tim Sebastian auf die Foltervorwürfe angesprochen wurde. Kalin wies hingegen die Kritik zurück, mit der Behauptung, die Türkei trete Folter und anderweitiger schlechter Behandlung mit einer “Null-Toleranz Politik” entgegen. Auch die Bundesregierung vertraut in dieser Hinsicht offenbar auf die Ausführungen der türkischen Regierung. Dies wird in zahlreichen Bescheiden des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge von Asylantragstellern aus der Türkei ersichtlich. Es wird stets an das Versprechen der türkischen Seite erinnert, wonach Misshandlung und Folter im Rahmen von einer “Null-Toleranz Politik” unterbunden werde. Doch journalistische Recherchen und belastbare Fakten belegen das Gegenteil. Auch Black Sites von Correctiv, in einer Kooperation mit internationalen Medien, machte auf eindrucksvolle Weise deutlich, wie die Türkei Menschen aus dem Ausland entführt und diese anschließend foltert.
Folteropfer brechen Schweigen
Heute, mehr als drei Jahre nach dem Putschversuch erheben immer mehr Opfer von Folter oder ihre Angehörigen ihre Stimmen. Zabit Kişi gehört zu jenen Personen, die nach dem Putschversuch im Juli 2016 ausserhalb der Türkei entführt wurden. Ihn traf es in Kasachstan. Einem Staat, das mit der Türkei historisch enge Beziehungen pflegt. Wie auch in diesem Fall, erfolgten die Entführungen meist in Kooperation zwischen den örtlichen Sicherheitskräften mit dem türkischen Geheimdienst (MIT). Nach der Entführung in Kasachstan wurde Kişi in die Türkei verfrachtet. Dann hat man lange Zeit nichts mehr von ihm gehört. Weder seine Familie, noch sein Anwalt konnten etwas über Aufenthaltsort und Zustand des Entführten erfahren. Lange Zeit wurde sogar bestritten, dass der Mann vom türkischen Staat festgenommen wurde. Erst nachdem das Amt für Geheimdienste in Kasachstan ein Schreiben ausstellte, aus dem hervorging, dass Zabit Kişi am 30. Oktober 2017 an Mitarbeiter des MIT übergeben und mit einem Flugzeug der Turkish Airlines von Almata nach Ankara gebracht wurde, hatte die Familie die bittere Wahrheit erfahren.
Bitte um Gefängnisstrafe
Dann tauchte Zabit Kişi im Juni 2019 plötzlich vor einem Gericht in Ankara auf. Der Mann soll wegen seines Engagements in der Gülen-Bewegung verhaftet worden sein, schreiben türkische Medien über ihn. In dieser Zeit hat Kişi 30 Kilogramm abgenommen. An seinem Körper gab es Spuren von Folter. Vor Gericht bat er den Richter regelrecht um seine Festnahme. Denn der Familienvater hatte Angst um sein Leben. Letztendlich wurde er zu einer Haftstrafe von 13 Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Foltervorwürfe wurden nicht weiter beachtet. Dennoch musste Zabit Kişi lange Zeit Medikamente einnehmen. Es hat gedauert, bis seine Wunden wieder geheilt sind. Nachdem er wieder etwas mehr zu sich kam, schrieb er seine Foltervorwürfe auf und erstattete Anzeige.
108 Tage in einem Container untergebracht
Zabit Kişi erklärt in seiner Strafanzeige, dass er unmittelbar nach der Übergabe gefoltert wurde. Die Männer hätten sich als MIT-Mitarbeiter vorgestellt. Er habe so schwere Schläge in seinen Genitalbereich bekommen, dass er tagelang aus seinem Geschlechtsorgan geblutet habe.
Nachdem er in Ankara ankam, habe man ihn in einen Container gebracht, das nur etwa sechs Minuten vom Flughafen entfernt liegen soll. Dort soll er nackt ausgezogen worden sein und bekam Stromschläge. Mehrere Tage habe man ihm kein Wasser gegeben, sexuell misshandelt und geschlagen. Um ihn wieder auf die Beine zu kriegen, habe man ihm Medikamente verabreicht. Nach über 100 Tagen habe man Kişi der Antiterrorpolizei TEM in Ankara übergeben. Bei der Übergabe soll ein Protokoll erstellt worden sein, wonach sich Kişi selbst der TEM ergeben hätte.
Über ähnliche Entführungen und Folter-Methoden gab es nach dem Putschversuch in der Türkei zahlreiche Berichte. Was Kişi erlebt hat, passt bis auf ein Detail zu den Erzählungen anderer Folteropfer, wie beispielsweise Ayten Öztürk. Der Unterschied, Zabit Kişi wurde in ein Container gebracht und dort gefoltert. In den Phasen, in denen er nicht gefoltert wurde, will er die Stimmen anderer Folteropfer gehört haben.
Auszüge aus dem Schreiben von Zabit Kişi: “Ich verurteile niemanden mehr, der Selbstmord begeht”
“Mein Name ist Zabit Kişi. Nach dem scheußlichen Putschversuch vom 15. Juli 2016 war ich plötzlich mit Verleumdungen bezüglich meiner Person konfrontiert und wurde auf meiner Rückreise von Kasachstan nach Kirgisistan aufgrund eines Haftbefehls von den kasachischen Behörden verhaftet.” Mit diesen Worten beginnt Kişi seinen Brief an die Öffentlichkeit, dass auch eine Strafanzeige gegen seine Peiniger sein soll. Was sich zunächst nach harmlos anhört, wird aber bald sehr brutal. Wenn die Vorwürfe von Kişi stimmen, muss auch die Bundesregierung ihre Haltung gegenüber der Türkei überdenken. Denn “Null-Toleranz” gegen Folter und Misshandlung hört sich anders an.
Er berichtet, wie er türkischen Personen übergeben wurde, die sich später als Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes MIT herausstellten. Sie schlugen ihn nach eigenen Angaben permanent auf den Kopf und in die Genitalien. Dabei hätte man seine Augen und Nase mit einem Tuch zugebunden haben, sodass er Schwierigkeiten hatte zu atmen. Seine Hände mit seien mit Kabelbindern gefesselt, wodruch seine Hände schmerzten. Wegen den Schlägen auf seinen Penis habe er tagelang Blut in der Hose gehabt. All dies sei noch auf dem Flug von Kasachstan in die Türkei geschehen.
“Ich konnte den Ort als einen Container unweit vom Flughafen in Ankara identifizieren”
Die Schmerzen von Kişi sollten noch um einiges schlimmer werden. Denn in Ankara angekommen, wurde der Familienvater in kurzer Entfernung zum Flughafen von Ankara in ein Container gebracht, wo er mehrere Monate eingesperrt bleiben sollte. Die große Folter begann dort. “Sie haben mich sofort komplett ausgezogen. Die sexuelle Misshandlung und die sexistischen Drohungen vermag mein Herz gar nicht in Worten ausdrücken. Sie haben mich an beiden Armen gehalten und gegen eine Wand geschlagen. Dann haben sie mir stufenweise Elektroschocks verpasst. Als ich saß, haben sie meine Fußsohlen nach oben gerichtet und meine Zehen einzeln zerquetscht. Sie sagten, “Wir werden eure Sippe ausrotten. Deine Frau werden wir …, du wirst sie nie wieder sehen”.”
Sexuelle Misshandlung: “Versuch gefallen daran zu entwickeln!”
Danach hätte ein Heilungsprozess seiner Zehen begonnen. Einige Nägel hätten sich in Folge dessen gelöst und seien abgefallen. Einige Tage lang habe er Probleme damit gehabt, ein Löffel zu halten, um das zu essen, was sie ihm gaben. Er habe unter Verlust seiner Sinne gelitten, weil seine Nerven beschädigt wurden, vermutet Kişi in seinem Brief weiter. Als sie ihn wieder ausgezogen haben, hätten sie ihn mit einem festen Gegenstand sexuell belästigt. “Obwohl ich sie anflehte, dass sie mir derartiges nicht antun, haben sie es weiter gemacht. Sie sagten zu mir: “Wer soll dich schon hier rausholen? Versuch einfach Gefallen daran zu entwickeln”.”
“Ich durfte erst dann duschen, als mein Gestank auch sie zu stören begann”
Auf die Toilette hätte er nur dann gedürft, wenn seine Folterer es wollten. Mit einem Sack über dem Kopf gestüplt wurde Kişi gefoltert und mit diesem Sack sollte er auf der Toilette es schaffen, richtig zu urinieren. Wenn er das Loch verfehlte, wurde er deshalb geschlagen. “Ich durfte letztlich 2,5 Monate meine Zähne nicht putzen. Wenn ich mal meinen Mund mit frischem Wasser ausspülen wollte, haben sie es mir nicht erlaubt. Als mein Mund und mein Körper angefangen haben zu sehr zu stinken, sodass sie selbst davon gestört waren, haben sie mir erst dann erlaubt zu duschen. Als ich geduscht habe, musste ich mit dem Rücken zu ihnen stehen, damit sie mich wieder sexuell belästigen konnten. In der Kälte musste ich nackt warten. Meine Nägel hatte ich 2,5 Monate lang nicht mehr geschnitten. Meine Schambehaarung musste ich mit Maschinen entfernen, die mit dem Blut von anderen verschmiert waren. Ich wurde permanent mit meiner Familie bedroht. Dass sie ihnen auch diese schlimmen Dinge antun. (…) Zu Leben ergab keinen Sinn mehr. Ich wollte regelrecht sterben. Heute verurteile ich diejenigen nicht mehr, die sich das Leben nehmen.”
Die deutsche Version des Textes ist redaktionell bearbeitet worden. Das Original finden Sie hier.