Murat Tekin und Ragıp Enes Katran hatten einen Traum. Sie wollten in der Türkei Berufssoldaten werden und besuchten hierfür die Militärakademie in Istanbul. Doch aus ihrem Traum wurde ein Albtraum. Der Anfang vom Ende begann mit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016. Der Tag an dem sie sterben mussten.
von SEVİNÇ ÖZARSLAN
BOLD – Der 15. Juli 2016 ist ein dunkler Tag in der Geschichte der türkischen Republik. Viele Rätsel sind bis heute nicht gelöst. Zahlreiche Morde sind bis heute nicht aufgeklärt. Wer wirklich hinter dem Putsch steckt, gehört zu den wesentlichen ungeklärten Fragen. Die Mörder der zwei jungen Kadetten Murat Tekin und Ragıp Enes Katran haben mehr als drei Jahre nach den Ereignissen keinen Namen. Hatte die aufgebrachte Bevölkerung die beiden Schüler der Istanbuler Militärakademie auf dem Gewissen, oder waren es Mitglieder der paramilitärischen Organisation “SADAT”? Wer auch immer die Mörder sind, wurden beide Jungen auf der Brücke “der Märtyrer des 15. Juli”, ehemals Bosporus-Brücke, ermordet.
Ragıp Enes Katran wurde nur 20 Jahre alt. Auf Handyaufnahmen sieht man seinen blutüberströmten Körper. Laut dem offiziellen Autopsie-Bericht ist Katran aufgrund der Schnittwunden an seinem Körper verstorben. Sein Bruder Fevzi Katran war auch Schüler der Militärakademie. Er lebt heute im deutschen Exil. Nachdem er zunächst von der Akademie rausgeworfen und ein Haftbefehl gegen ihn erlassen wurde, musste er seine Heimat verlassen.
Über die Nacht des 15. Juli wird berichtet, dass paramilitärische Einheiten im Einsatz waren. Diese seien zuvor in Syrien eingesetzt worden und mit der Putschnacht erstmals auf türkischem Boden in Ankara und in Istanbul aktiv gewesen.
Diese Paramilitärs tragen den Namen “SADAT”. Mitglieder dieser Einheit sind ehemalige Generäle und Offiziere des türkischen Militärs. Den Kopf von “SADAT” bildet Adnan Tanrıverdi, ein für seine islamistischen Ideen bekannter Berater des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Er macht keinen Hehl daraus, dass seine Kämpfer in Syrien im Einsatz waren und ebenso in der Nacht des 15. Juli 2016. Doch die Vorwürfe bezüglich der Morde lehnt Tanrıverdi ab.
Fevzi Katran jedoch glaubt nicht daran, dass das normale Volk seinen Bruder mit mehreren Messerstichen umgebracht hat.
“An seinem Körper waren Hämatome, Schnitte und Einstichlöcher. Das sind Belege für Barbarei. Mein Bruder Murat und die anderen wurden auf grausame Weise ermordet. Da ist eine Gruppe, die kann ich nicht als Volk bezeichnen. Ich glaube nicht, dass unser Volk derartiges tut”, so der verbitterte Bruder.
Ballistische Berichte werden nicht veröffentlicht
Die Regierung um den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan schätzt die Zahl der zivilen Todesopfer in der Nacht des 15. Juli 2016 auf mehr als 250. Allerdings werden die ballistischen Berichte zu den eingesetzten Waffen in der Putschnacht von den Gerichten zur Verschlusssache erklärt, obwohl Soldaten vor Gericht die Einsicht in diese Berichte immer wieder fordern.
“Kadetten sollten Teil des Putschs werden”
Heute versucht Fevzi Katran seine Erlebnisse zu verarbeiten. Über den Putschversuch vom 15. Juli 2016 und den Vorfällen auf der Bosporus-Brücke hat er eine klare Meinung. Er ist der Ansicht, dass nur wenige Soldaten sich tatsächlich am Putschversuch beteiligt hätten. So hätte man Schüler der Militärakademie auf die Brücke gebracht, um die Putschisten-Soldaten größer wirken zu lassen, als sie tatsächlich waren: “Den Kadetten hat man gesagt, dass es einen Terroranschlag gibt. Sie wurden in Fahrzeuge gepackt, um zur Luftwaffenschule zu fahren. Die Schüler hatten gar keinen Schimmer, was gerade passierte. Schließlich hatten sie nicht einmal ein Handy, um sich informieren zu können. Man hat versucht, diese Kinder zu einem Teil des Putsches zu machen. Anschließend hat man alle militärischen Schulen geschlossen.” Katran glaubt, dass man dadurch auch eine offizielle Berechtigung fand, um diese Schulen zu schließen. “Wer auch immer all das geplant hat, hat alle Kinder aus der Schule geworfen und ihre Plätze an neue Kinder vergeben.”