Die Kinder des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan führen eine Reihe von Stiftungen. Diese haben in den vergangenen Jahren ein großes Vermögen aufgebaut. Die vermögenreichesten Unternehmer der Türkei bemühen sich um Spenden an die Stiftungen “TÜRGEV” und “ENSAR” abzuführen, die mit ihren personellen Nähen zu der Erdoğan-Familie bekannt sind.
von CEVHERİ GÜVEN
BOLD – DE Die Regierung von Erdoğan hat schon länger mit Korruptionsvorwürfen zu kämpfen. Konkret wurden die Vorwürfe allerdings erst Ende Dezember 2013. Damals gab es zwei wichtige Razzien, bei denen große Korruptionsfälle, unter anderem gegen hohe Regierungsmitglieder der AKP, aufgedeckt wurden. Der damalige Ministerpräsident Erdoğan hat sich aber nie der Aufklärung dieser Vorwürfe gewidmet, sondern die Razzien als eine Art “Putsch” gegen ihn bezeichnet. So wurden alle Polizeibeamten, Staatsanwälte und Richter, die an den Ermittlungen beteiligt waren, entlassen und später sogar als “Terroristen” bezeichnet. Seither traut sich kaum ein Staatsanwalt Ermittlungen wegen Korruptionsvorwürfen gegenüber türkischen Regierungsmitgliedern aufzunehmen.
Korruption nach Erdbeben in Elazığ ans Tageslicht geraten
Es gibt in der Türkei weiterhin Fälle von Korruption. Ein solcher Fall ist nach dem großen Erdbeben Ende Januar in der türkischen Provinz Elazığ an die Öffentlichkeit geraten.
So hat die türkische Wohltätigkeitsorganisation “Türk Kızılay” (türkischer Halbmond) nach dem Erdbeben zu einer Spendenkampagne aufgerufen, obwohl Spendenbeträge an die Organisation in den vergangenen Jahren stark zugenommen haben.
Einige unter Druck stehende Bürokraten haben offengelegt, dass die “Türk Kızılay” bei Spenden nur als eine Art Tarnung genutzt wird. Unternehmer, die Zuschläge für staatliche Ausschreibungen erhalten haben, fielen mit Spenden an die “Türk Kızılay” auf. Den jeweiligen Protokollen war zu entnehmen, dass die “Türk Kızılay” die entsprechenden Spenden den Stiftungen TÜRGEV und ENSAR zur Verfügung stellen muss.
Im Anschein sah es also so aus, als ob die Unternehmer die Spenden an die offizielle Wohltätigkeitsorganisation des Landes zahlten, doch tatsächlich floss das Geld in die Taschen der Familie Erdoğan.
Erster Fall in Ankara bekannt geworden
Der erste öffentlich gewordene Fall betrifft die Unternehmensgruppe “Torunlar Holding”. Diese hatte eine Ausschreibung für die Verteilung von Erdgas erhalten. Die zu der Unternehmensgruppe gehörende Firma “Başkentgaz” hat an die “Türk Kızılay” eine Spende in Höhe von acht Millionen US-Dollar getätigt. Was aber dabei kurios erscheint: In den AGBs für Spenden wurde ein besonderer Paragraph hinzugefügt. Demnach ist es der Organisation erlaubt, die Spenden auch über die “ENSAR Stiftung” zu nutzen.
Die Stiftungen “ENSAR” und “TÜRGEV” gehen insbesondere den Interessen des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan nach. So laufen die Aktivitäten der Türkei bezüglich Bildung in Afrika, Amerika und Europa größtenteils über diese beiden Stiftungen.
Größere Korruptions-Akte in Istanbul aufgetaucht
Ein weit größerer Korruptions-Fall ist jetzt in Istanbul bekannt geworden. Es handelt sich um ein Areal von 96 Tausend 400 Quadratmetern zwischen den beiden Brücken am Bosporus, die die europäische Seite mit der asiatischen Seite verbinden. Diesem lukrativen Grundstück wird ein Wert von mehreren Milliarden nachgesagt.
Der Besitzer dieses Grundstücks ist eine Stiftung aus der Zeit der Osmanen. Die “Silahtar Abdullah Aga Stiftung” wurde mit der Gründung der Republik Türkei, samt zahlreicher Grundstücke, an den Staat übertragen. Das Gelände von 96 Tausend 400 Quadratmetern war als Versammlungs- und Zeltplatz im Falle eines Erdbebens reserviert. Um hierauf Gebäude errichten zu können, hatte das städtische Bauamt von Istanbul am 24. Februar 2012 mit der Stiftung eine Art Vorprotokoll unterzeichnet. “KİPTAŞ” hat diesbezüglich einen Vertrag mit dem Bauunternehmen “Torunlar GYO”, einer weiteren Firma der “Torunlar Holding,” abgeschlossen.
Laut Vereinbarung sollten die Immobilien auf diesem Gelände zu 54,28 Prozent an die Torunlar Holding und zu 45,72 Prozent an die KİPTAŞ verteilt werden. Bei der Aufteilung ging der Eigentümer leer aus, die staatliche türkische Stiftungsverwaltung also.
All diese Informationen waren 2014 noch ein dunkles Geheimnis. Denn das Erdoğan-Regime hatte in diesem Jahr Hunderte Polizisten und Staatsanwälte entlassen. Das Land war größtenteils verstummt. Diese Informationen rückten erst Jahre später durch unsere investigative Recherche ans Tageslicht.
Dabei ist es nicht das einzige Problem, dass das Grundstück mit einem Wert in Milliardenhöhe an eine regierungsnahe Holding übertragen wurde. Mit Abschluss des Projektes kam die Energiefirma der “Torunlar Holding” und “Başkentgaz” wieder ins Spiel. Der durch Erdoğans Sohn Bilal geleiteten TÜRGEV Stiftung wurden in diesem Projekt 31 Gewerbeobjekte übertragen. Um vom Bauunternehmen “Torunlar GYO” abzulenken, wurden diese 31 Gewerbeobjekte von dem Energieunternehmen “Başkentgaz” zunächst aufgekauft und an die “TÜRGEV” Stiftung gespendet.
Auf dem Grundstück wurden insgesamt 2961 Wohn- und Gewerbeeinheiten errichtet. Nebenan wurde das größte Medienzentrum der Türkei aufgestellt. Dieses lukrative Medienzentrum wurde an die Erdoğan-nahe Zeitung “Sabah” und den Erdoğan-nahen Fernsehsender “ATV” übergeben. Die geschlossene Gesamtfläche des Zentrums beträgt sage und schreibe 300 Tausend Quadratmeter.
Auf dem Rest der Grundstücksfläche wurde ein kleiner Campus der “Bezmi Alem Universität” errichtet. Diese Universität wird von der türkischen First Lady Emine Erdoğan kontrolliert.
Keine Korruption sondern Spende
In der Türkei von heute wird der Begriff Korruption nicht mehr verwendet. Stattdessen wird bevorzugt von “Spende” gesprochen. Unternehmer, die auf irgendeine Weise mit dem türkischen Staat zusammenarbeiten, werden gezwungen den Stiftungen der Erdoğan-Familie zu spenden. Diese Stiftungen sind größtenteils von jeglicher Steuer befreit.
Dieses System gilt nicht nur für lukrative Mega-Projekte. Auch in kleinen Kommunen ist dieses System fest installiert. Unternehmer in kleineren Ortschaften müssen, sofern ihr Geschäft in Stadtverwaltungen der AKP sesshaft ist und sie mit diesen AKP-Verwaltungen arbeiten müssen, Spendengelder an Stiftungen abführen, auf die die AKP-Bürgermeister hinweisen. Die Rede ist dabei von 20 Prozent vom Umsatz je Projekt.