Medeni Arifoğlu war bis 2016 einer der größtenUnternehmer der Provinz Bingöl. 2012 hat er für seine Leistungen sogar einen persönlichen Preis vom damaligen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan erhalten. Nach dem Putschversuch hat sich sein Leben aber komplett auf den Kopf gestellt. Seine Ehefrau Nuran Arifoğlu spricht nun über die Erlebnisse ihres Mannes.
SEVİNÇ ÖZARSLAN
BOLD EXKLUSIV
Medeni Arifoğlu gehörte zu den stärksten Unternehmern der osttürkischen Provinz Bingöl. Seine Leistungen für die türkische Wirtschaft waren so groß, dass sogar der damalige Ministerpräsident und heutige Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan ihn mit einem Preis 2012 würdigte. Doch nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016, dessen Urheber bislang immer noch nicht geklärt werden konnte, hat sich sein Leben komplett auf den Kopf gestellt. Als bekennender Anhänger des Islam-Gelehrten Fethullah Gülen, den die türkische Regierung beleglos für den Putschversuch verantwortlich macht, wurde sein Vermögen eingefroren. Noch schlimmer: Medeni Arifoğlu wurde sogar verhaftet, wo er zuerst mit seinem Blindarm zu kämpfen hatte. Seine Blindarmentzündung wurde drei Wochen lang nicht behandelt. Ein Arztbesuch wurde ihm verweigert. Er soll dann irgendwann, als die Schmerzen nicht mehr zu ertragen waren, flehend um Hilfe gebeten haben, erzählt seine Ehefrau Nuran Arifoğlu im Gespräch mit Bold.
Schon vor der Inhaftierung hatte der Unternehmer bereits eine Lebertransplantation hinter sich. Im Juli 2018 wurde bei ihm Leberkrebs festgestellt. Auch das war kein Grund für einen sensibleren Umgang mit Medeni Arifoğlu. Im Gegenteil: Der Abgeordnete der prokurdischen HDP, Ömer Faruk Gergerlioğlu, spricht von einer “gesonderten Unterdrückung” gegen Arifoğlu. So soll er ständig zwischen den Krankenhäusern von Malatya und Adana hin und her transportiert worden. Eines Tages sollen seine Schmerzen sogar so unerträglich geworden sein, dass er alle Behandlungen abgelehnt habe und davon gesprochen habe, dass er sterben wolle.
Entlassung kam zu spät
Seine Frau und der HDP-Politiker Gergerlioğlu haben sich hart dafür eingesetzt, ihn aus der Haft zu befreien. Im März 2019 gelang es den beiden zwar, doch das war für den todkranken Unternehmer schon zu spät. Ende Januar diesen Jahres verstarb Medeni Arifoğlu. Er hinterlässt drei Kinder.
“Mein Mann wurde zwar freigelassen, aber sie haben ihn in einen Prozess hineingebracht, der ihn zum Tod führte. Sie haben uns eine Leiche gegeben”, sagt Nuran Arifoğlu, die Ehefrau des verstorbenen Unternehmers heute.
Nuran Arifoğlu durfte ihren Mann 35 Tage lang im Beisein von Soldaten und Wächtern in der Zelle behandeln. Die Erlaubnis hatte sie vom Staatsanwalt eingeholt. “Ich wusste, dass mein Mann mit diesen gesundheitlichen Problemen in der Haftanstalt nicht leben konnte. (…) Der Arzt, der die Lebertransplantation vorgenommen hatte, stellte einen Bericht aus, auf dem die Rede von einem Organverlust war, sofern er weiter inhaftiert bleibe”, sagt die Frau weiter.
19 Medikamente täglich
Ihr Mann habe täglich 19 Medikamente eingenommen. Nach einem 21-tägigen Aufenthalt auf der Intensivstation soll das Leben im Gefängnis sogar noch schwieriger geworden sein. Er sei zu den Familienbesuchen nur mit großer Schwierigkeit gelaufen, erzählt Nuran Arifoğlu und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Behörden: Man habe im Juli 2018 die Krebsdiagnose gemacht, ihm aber erstmal nichts gesagt. Der Tumor sei innerhalb von wenigen Monaten stark angewachsen.
Dann sei er irgendwann nach Adana geschickt worden. “Dort sollte er sich einer Leber-OP unterziehen. Wir wollten eigentlich nicht, dass er dahin geht, aber weil gesagt wurde, dass er sich einer OP unterziehen soll und es ihm besser gehen soll, haben wir uns Hoffnungen gemacht. Der Arzt dort sagte aber, dass es dort keine Zimmer für Inhaftierte gebe, weshalb er sich geweigert hat, die OP durchzuführen.” Jedes mal, wenn sie ihren Mann sehen wollte, habe sich der Zustand ihres Mannes verschlimmert, sagt sie.
Später sei er zurück nach Malatya gebracht worden. Die OP habe sich aber immer weiter gezogen. “Er wurde 20 Tage lang nicht ins Krankenhaus gebracht. Man hat ihn ein paar mal am Tag in die Notaufnahme gebracht und mit Schmerzmitteln behandelt. Aber der Krebs hatte schon Komplikationen mit sich gebracht. Sein Knochen am Hals ist geplatzt. Er konnte seinen Arm nicht bewegen, konnte nicht laufen”, erzählt sie weiter.
Nach langem Kampf habe man ihn ins Krankenhaus gebracht, um den Tumor am Hals weg zu operieren. Für seine Leber war aber alles zu spät. Der zuständige Arzt hat sich an die OP nicht herangetraut, weil er Angst davor hatte, dass der Mann dabei stirbt.
Erst danach habe man den Mann freigelassen. Doch jede Hilfe kam zu spät. Der Krebs hatte sich schon auf andere Organe gestreut.
“Erst wollten sie die Todesstrafe, dann kamen sie auf die Beerdigung”
Nach dem Tod ihres Mannes war die Ehefrau des Unternehmers überrascht von den vielen Beileidsbesuchen. Man habe nach dem Putschversuch die Todesstrafe für Medeni Arifoğlu gefordert.”Menschen, die die Todesstrafe forderten, kamen zu seiner Beerdigung”, sagt seine Frau. Der Andrang in der Moschee und auf dem Friedhof sei groß gewesen, erzählt sie.
Jetzt fordert Nuran Arifoğlu die Freilassung von kranken Inhaftierten. Sie habe erlebt, wie ihr Mann vor ihr hingeschmolzen sei. Für ihr Mann sei alles zu spät gewesen. Für andere Kranke soll es eine neue Verordnung geben, fordert sie.