Ein schrecklicher Angriff in der Haftanstalt von Izmir Menemen. Ein Szenario wie aus schlechten türkischen Kinofilmen der 80er 90er Jahre. Auf den bekannten Unternehmer Hazım Sesli und Freund von Ex-Präsident Abdullah Gül hat ein Mithäftling sieben Mal eingestochen. Sesli schwebt in Lebensgefahr.
BOLD – Hazım Sesli ist seit dem 22. Oktober 2015 im Gefängnis. Der Vorwurf gegen ihn lautet, wie in zahlreichen anderen Fällen auch, Verdacht auf Terrorismusunterstützung. Die Regierung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan führt seit 2014 Ermittlungen gegen die Gülen-Bewegung. 2015 richtete sich Erdoğans zorniger Blick auf wichtige Unternehmer, die als Gülen-Sympathisanten oder Unterstützer bekannt waren. Die zwei Großkonzerne Koza Ipek Holding und Boydak Holding waren dabei die ersten großen Ziele. Auch die Textil-Fabrik von Hazım Sesli ist schnell ins Visier der Ermittler geraten. Nach seiner Verhaftung vor rund fünf Jahren wurde seine Firma zunächst unter Zwangsverwaltung gestellt. Mit dem Ausnahmezustand wurde seine Firma vollständig beschlagnahmt. Dabei war Sesli ein Politik-naher Geschäftsmann. Seine ganz besondere Verbundenheit zum Alt-Präsidenten Abdullah Gül ist in der Türkei bekannt.
Täter hatte einem Häftling die Kopfhaut abgezogen
Hazım Sesli wurde kürzlich im Gefängnis von Menemen das Opfer eines brutalen Anschlags. Der Täter heißt Fatih Oktay, ein für seine psychopatischen Gewaltneigungen bekannter Häftling. Zuvor tötete er einen anderen Insassen, in dem er ihm die Kopfhaut abzog. Diesmal hat Oktay den Unternehmer Hazım Sesli töten wollen -mit einem heimtückischen Angriff. Sesli wurde in Begleitung von Gefängniswärtern zum Telefon gebracht, weil er mit seiner Familie telefonieren wollte. Der tödliche Angriff ereignete sich während des Telefonats. Mit einem spitzen, langen Gegenstand wollte Oktay den ahnungslosen Sesli in sein Brustbereich stechen. Doch dieser Angriff missglückte ihm. Danach gab es ein Gerangel auf dem Boden. Dabei stach Oktay insgesamt sieben Mal auf Sesli ein. Trotz schwerster Verletzungen wurde Sesli im Krankenhaus behandelt und am selben Tag wieder in seine Zelle gebracht.
15 Jahre Gefängnis
Hazım Sesli war zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Bei seiner Anhörung im 2. Sonder-Strafgericht von Uşak, am 17. September 2019, sagte Sesli vor Gericht aus: “Ich habe viele Informationen über aktuelle und vergangene Kabinettsmitglieder. Bislang habe ich nicht geredet, aber wenn ich damit beginne, gibt es ein großes Beben”, so Sesli vor mehr als einem halben Jahr. Seit mehr als vier Jahren ist er inhaftiert. Ohne glaubhafte Belege würde man die gesamte Familie Sesli bestrafen. “Für dieses Unrecht wird in Zukunft bezahlt werden. Die Verantwortlichen werden zur Rechenschaft gezogen. Genauso wie die Verantwortlichen vom Militärputsch 1980 und vom “postmodernen Staatsstreich” von 1997 zur Rechenschaft gezogen wurden.”, so Sesli vor Gericht. Diese Offensive wurde ihm jetzt scheinbar zum Verhängnis.
Angriff war ein Kalkül
Fatih Oktay sagte nach der Tat gegen Sesli aus. Für ihn sei Hazım Sesli ein Landesverräter. “Deshalb wollte ich ihn töten. Sesli hat den Staat und das Volk beleidigt. Darum habe ich ihn angegriffen”, so Oktay weiter. Doch Sesli sitzt seit Jahren in Isolationshaft im Gefängnis. Er hatte keinen Kontakt zum Täter. Woher wusste der vorbestrafte Fatih Oktay also, dass Sesli entsprechende Aussagen getätigt haben soll? Ein weiteres Detail: Die Anträge von Sesli, in denen er um die Aufhebung seiner Isolation bat, wurden in der Vergangenheit stets abgelehnt.
Obschon Fatih Oktay den Angriff mit seinen Aussagen stark personalisiert hat, wird von einem kalkulierten Anschlag auf den Unternehmer ausgegangen. Sesli hatte der Gefängnisverwaltung bereits mitgeteilt, dass er um sein Leben fürchte. Auch seine Anwälte hatten ähnliche Anträge bei der Verwaltung eingereicht. Dies begründeten Sesli und seine Anwälte mit einigen Bedrohungen in der Haft. Sesli sprach nach der Tat mit seinen Anwälten. Er gehe von einer geplanten Tat aus. Sesli vermutet, dass der Befehl ihn zu eliminieren, von ganz oben gekommen sein muss.
Ein Blick in die Akte von Fatih Oktay lohnt sich. Morde in Haftanstalten mit der Verwicklung des türkischen Staates wären zunächst kein Novum. Bereits in der Vergangenheit gab es in türkischen Gefängnissen ähnliche Vorgänge. Ein bekanntes Beispiel ist das Attentat auf Mustafa Duyar. Sein Mörder Nuri Ergin tötete Duyar in seiner Zelle. Seine Aussage, “Dieser Staat hat mich dazu gebracht Mustafa Duyar zu töten. Fragt Veli Küçük nach,” bleibt bis heute unvergessen.
Profil des Attentäters
Die Profile von Nuri Ergin und Fatih Oktay bieten augenscheinliche Parallelen. Beide waren wegen Mordes verurteilt. Zahlreiche Körperverletzungsdelikte schmücken beide Akten. Der Mord an einem Mitinsassen durch den Abzug der Kopfhaut ist einer seiner weiteren Morde. Dass ein derart gefährlicher Häftling im Gefängnis über derartige spitze Gegenstände verfügt, wirft ein weiteres Fragezeichen auf. Laut Gefängnisverwaltung habe er die Waffe selbst gebaut. Doch selbst wenn das so stimmen sollte. Häftlinge, die zum Telefonieren aus der Zelle geholt werden, werden am ganzen Körper auf gefährliche Gegenstände überprüft. Dass die Wärter, die in diesem Augenblick im Korridor sein müssten, trotz des Kampfes zwischen Fatih Oktay und Hazım Sesli nicht anwesend waren und auch nicht wegen der Schreie zur Hilfe geeilt sind, werfen weitere entscheidende Fragen auf.
Oda TV Schlagzeile fällt als Hate Speech auf
Dass das fragwürdige Medium Oda TV in diesem Fall mit einer geschmacklosen Schlagzeile auffällt, ist mit Blick auf den allgemeinen Jargon des Mediums kaum verwunderlich. Man könnte in diesem Fall von Hate-Speech sprechen. Oda TV berichtete über diesen schrecklichen Fall so: “FETÖ Imam wurde im Gefängnis aufgespießt.” Auch der Rest des Artikels beinhaltet fragwürdige Ausführungen. Dabei ist der Fall von Hazım Sesli kein Einzelfall. Vor einigen Tagen wurde Ömer Köse im Gefängnis angegriffen. Ömer Köse ist ehemaliger Polizist bei der Istanbuler Antiterrorpolizei TEM. Köse wurde im Gefängnis in Tekirdağ von sechs Wärtern zusammengeschlagen. Auch Köse hatte zuvor, ebenso wie Sesli, erfolglos auf seine Bedenken in Bezug auf seine Lebensgefhr hingewiesen.