Der Rechtsanwalt Turan Canpolat hat aus seiner Isolationshaft aufgedeckt, dass er wegen gefälschter Beweise im Gefängnis sitzt. Weil seine Stimme die türkischen Rechtsanwaltskammern nicht hören wollen, richtet er seinen Hilferuf an die Öffentlichkeit.
von Sevinç Özarslan
Der inhaftierte Rechtsanwalt Turan Canpolat hat seiner Isolationshaft die gefälschten Beweise in seiner Anklageschrift aufgedeckt. Nachdem die türkischen Rechtsanwaltskammern sich desinteressiert gezeigt haben, richtet er seinen Appell jetzt an die Öffentlichkeit.
Turan Canpolat ist Rechtsanwalt und seit dem 27. Januar 2016 im Gefängnis. Am 16. Januar 2020 schreibt er aus der Haftanstalt in Elazığ einen Brief. Darin erzählt er, dass er seit 25 Jahren Rechtsanwalt ist und seit 50 Monaten in Haft ist. Seine kleine Zelle beschreibt er darin als eine „Legebatterie.“
Gefälschte Beweise mit der Unterschrift des Staatsanwalts
Mit den Worten, „dieses Schreiben ist ein leiser Hilferuf von einem Anwalt an die Gerichte, den Kassationshof, an die türkische Rechtsanwaltskammer und die Rechtsanwaltskammer von Malatya auf Papier,“ fängt Canpolat seinen Brief an. Er schreibt darin über den bewiesen, bestätigten, und offiziell dokumentierten Mord an der Justiz. Es sei nicht möglich, seine Geschichte als Lüge zurückzuweisen.
In seinem 19-seitigen Brief erklärt der Rechtsanwalt die Rechtsverstöße in zehn Punkten. Turan Canpolat wird von der Oberstaatsanwaltschaft am 27 Januar festgenommen, nachdem er in die Wohnung seines Mandanten gegangen ist. Nur eine Stunde vorher wurde sein Mandant festgenommen.
Der Rechtsanwalt hatte die Durchsuchung der Wohnung seines Mandanten protokolliert und unterschrieben. Auch die Polizisten hatten das Protokoll unterschrieben. Anschließend wurde auch Canpolat festgenommen und gilt als Verdächtiger. Der Verteidiger findet bei seinem Gerichtsprozess raus, dass er mit einem vom Staatsanwalt unterschriebenen gefälschten Dokumenten als Verdächtiger gilt.
Nachdem der Jurist gemeinsam mit seinem Mandanten Mehmet Tanrıverdi drei Tage lang in Polizeigewahrsam verbringt, erlebt er einen großen Schock. Während sein Mandant frei gelassen wird, ergeht am 29. Januar Haftbefehl gegen Canpolat.
Polizei zahlt Notargebühren
Der Rechtsanwalt erzählt, dass er sich seither unter Geiselhaft befindet. Durch Druck der Polizei sei das Anwalts-und Mandantenverhältnis beendet worden. Sein Mandant Tanrıverdi habe zudem gegen ihn ausgesagt, weswegen er jetzt im Gefängnis sei. Der Jurist sagt bereits bei seiner ersten Gerichtsverhandlung, dass seine Aussage vor dem Polizeipräsidium in Malatya nicht von ihm sei. Er lehne jedes einzelne Wort ab.
Sein Mandant sei gemeinsam mit zwei Polizisten während des anhaltenden Polizeigewahrsams am 29. Januar 2016 um 11 Uhr zum Notar gebracht worden. Dort habe er ein „Abberufungsschreiben“ unterschrieben. Einen Teil der Notargebürhen sollen die Polizisten bezahlt haben.
Weil Tanrıverdi konnte bereits bei seiner Aussage im Polizeirevier seinen Verteidiger nicht belasten. Deswegen sei er am 17. Februar 2016 erneut zur Aussage ins Polizeirevier gerufen worden. Dort habe er ausgesagt, dass sein Rechtsanwalt der Justizverantwortliche einer Terrororganisation sei. Zudem seien drei Angestellte des Gerichts, die nicht vorbestraft waren, seine Komplizen. Die neuen Angeklagten hätten in den Verfahren gegen Angehörige der Gülen-Bewegung etwa Akten des Gerichts illegal an sich genommen und diese mit „Vorgesetzten“ in der Terrorgruppe weitergeleitet. Das sei der einzige Vorwurf in der Anklageschrift gegen den Rechtsanwalt. Der Beweis soll die zweite Aussage seines ehemaligen Mandanter vom 17. Februar 2016 sein.
„Ich weiß, ich bin in die Geschichte eingegangen, weil Haftbefehl gegen micht eingeht, dass auf eine Aussage vom 17. Februar 2016 zurückgeht,“ so der Inaftierte. Mit mir gemeinsam sind die Gerichte, der Kassationshof, die türkische Rechtsanwaltskammer und die Rechtsanwaltskammer von Malatya in die Geschichte eingegangen. Und auch der Rat der Richter und Staatsanwälte, die trotz meiner Beschwerde bislang nichts gegen den Mord an der Justiz unternommen haben,“ schreibt Canpolat.
Die Anklagen gegen die drei Angestellten des Gerichts werden später aus der Anklageschrift von Canpolat heruasgenommen und von den Vorwürfen freigesprochen. Canpolat steht seither als einziger Angeklagter in der Sache da und wird verurteilt.
„Mir wurde schlecht“
In seinem Brief beschreibt der Rechtsanwalt detailliert, wie die Anklage gegen ihn sich auf gefälschte Dokumente stützt und in der ersten Gerichtsverhandlung im Protokoll dessen gefunden dokumentiert ist.
„Die gesamte Akte ist wie das Original
„Die gesamte Akte (Anklageschrift anm.d.Redaktion) ist wie das Original, habe ich mir durch das Gericht bestätigen lassen. Gleichzeitig wurde in dieser Akte ein gefälschtes Dokument des Staatsanwalts vergessen. Es ist ein Beweis, wie am 27. 01. 2020 ein Dokument illegal aus der Akte rausgenommen und ein gefälschtes reingelegt wurde,“ schreibt der Anwalt in seinem Brief.
Dieses Dokument sei vergessen worden, weil es an einem anderen praktisch geklebt gewesen sei. Bei der Gerichtsverhandlung am 14. 06. 2016 würden in der Gerichtsakte Verdächtige in dem Fall aufgeführt werden, deren Namen bereits am 26. 01. 2016 aufgelistet seien. „Dass mein Name nicht aufgeführt war, is ein offizielles Dokument,“ so der Jurist.
Damit die Polizisten keine Straftat begehen
Nachdem ich als Rechtsanwalt in den Fall involviert werde, wurde die Liste mit dem Namen eines Verdächtigen mit den Initialen M.C. herausgenommen und eine Liste mit meinem Namen eingefügt. Es ist ein Dokument ohne Unterschrift, Genehmigung und Datum. Weil die Zahl der Verdächtigen zuvor dokumentiert wurde, nahm man den Namen M.C. raus und meinen rein. Damit die Polizisten keine Straftat begehen, unterschreiben sie nicht diese Liste und genehmigen diese auch nicht. Das diese neue Liste ohne Unterschrift, Genehmigung und Datum ist wurde im Gerichtsprotokoll vom 14. 06. 2016 festgehalten.
Als rauskam, dass der M.C. durch seinen Namen ersetzt wurde, sei ihm schlecht geworden, schreibt der Rechtsanwalt. Er wollte von der Staatsanwaltschaft in Malatya eine Stellungnahme dazu haben. „Wissen Sie was passiert ist. Seit 50 Monaten schickt die Polizei von Malatya nicht die Originalliste mit den Verdächtigen.“
„Wie soll ich während des Putschversuchs eine Straftat begangen haben, wenn ich im Gefängnis war?“
Die wichtigste Ungerechtigkeit in seiner Anklageschrift sei, dass er sich während des Putschversuchs vom 15. Juli 2016 in Ankara aufgehalten haben soll. Dabei soll er beim Putschversuch mitgewirkt haben. Zu dieser Zeit war Canpolat allerdings im Gefängnis von Malatya:
„Die Anklageschrift aus Ankara zeigt Tatort als Ankara. Die Straftat soll am Tag des Putschversuch am 15. Juli 2016 begangen worden sein. . Seit dem 27. Januar 2016 befinde ich mich ununterbrochen in Haft. Ich müsste dann mit einer Zeitmaschine vom Gefängnis in Malatya zum 15. Juli 2016 nach Ankara gereist sein um eine Straftat zu begehen und dann wieder zurück ins Gefängnis in Malatya gereist sein.“
10 Jahre Gefängnis
Der Rechtsanwalt wurde zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er ein Konto bei der Bank Asya und die Messenger-App ByLock benutzt haben soll. In seiner Anklageschrift tauchten diese Punkte aber nicht auf. Sein Berufungsantrag liegt seit 18 Monaten beim Kassationshof. Auch die sog. ByLock-Inhalte seien nicht unterschrieben und genehmigt. Das sei bereits seit dem 5. Mai 2017 in den Gerichtsakten festgehalten worden. Nach nur drei Tagen seines juristischen Kampfes wird er am 8. Mai 2017 von Malatya ins Gefängnis in Elazığ gebracht und befindet sich seither in Isolationshaft. Ein zweites Mal wird er nicht persönlich vor Gericht gestellt. Er darf auch nicht per Videokonferenzsystem „SEGBIS“ an der Gerichtsverhandlung teilnehmen. Seine Anzeige, dass ByLock-Protokolle gefälscht seien, wird von der Staatsanwaltschaft Malatya nicht verfolgt.
Seit 14 Monaten schon reicht Canpolat monatlich Beschwerde beim Kassationshof wegen seiner Inhaftierung ein. Bislang wurde nicht darauf reagiert. Der Jurist sagt, dass die Richter seiner Freilassung anordnen müssten, sollten sie die Beschwerden gelesen haben. Lauf Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte müssten spätestens 23 Tage nach solche Beschwerden beantwortet werden.
„Eine würdevolles Gefängnisleben ist eine Ehre“
In seinem Brief sagt Canpolat, dass er wegen gefälschter Dokumente verurteilt wurde.
„Die Rechtsanwaltskammern, in denen ich Mitglied bin, haben die Rechtsverstöße ignoriert. Obwohl ich schon vor 50 Monaten einen offiziellen Antrag bei der Rechtsanwaltskammer von Malatya gestellt habe, hat sie ihre Kommission für die Rechte von Anwalt noch nicht mit einer Untersuchung beauftragt. Vielleicht trauen sie sich nicht, vielleicht auch…,“ beendet der Rechtsanwalt Turan Canpolat seinen Brief.
Der Text wurde für die deutsche Übersetzung redaktionell bearbeitet. Das Original finden Sie hier.