Islam Günebakan gehört zu den Wissenschaftlern , die nach dem Putschversuch 2016 entlassen wurden. Er fuhr danach Taxi und verkaufte Tomatenmark um zu überleben. Später floh er aus dem Land, indem er den Grenzfluss Mariza überquerte. Heute lebt er in Deutschland und macht den Flüchtlingen aus der Türkei Mut: “Hört auf Angst zu haben!” Bold hat mit dem Wissenschaftler gesprochen.
Von Cevheri Güven
(Aus dem Türkischen von Sven Weber)
Der Wissenschaftler Islam Günebakan hat an der Mustafa Kemal Universität unterichtet bis er nach demPutschversuch vom 15. Juli 2016 per Dekret entlassen wurden. Damals hatte er gerade seine Doktorarbeit beendet und wartete auf seine mündliche Stellungnahme vor der Universitätsjury. Dazu kam es aber niemals. Zunächst zog sich sein Betreuer und dann auch die Jury zurück.
Um seine Familie zu ernähren, fing der fünffache Vater an Tomatenmark verkaufen und Taxi fahren. Der Druck auf den Wisenschaftler wuchs aber immer mehr. Inzwischen wurde er in seiner Umgebung als Ungläubiger (“kafir”) bezeichnet. Um schlimmeres zu verhindern schwomm der Mann über den Grenzfluss Mariza ins griechische Nachbarland. Einige Wochen später organisierte er ein Schlauchboot und schaffte es auch seine Familie aus dem Land zu bringen.
Günebakan lebt mit seiner Familie in Deutschland und hat ein neues Leben begonnen. Nach dem er die Sprache gelernt hat, ist der Mann zu seinem eigentlichen Beruf zurückgekehrt und darf jetzt seine Doktorarbeit in seiner neuen Heimat beenden.
Die Lebensgeschichte von Günebakan ist voll von Verlusten und Siegen. Er hat auch Empfehlungen an neue Flüchtlinge aus der Türkei:” Habt keine Angst. Ihr müsst euch nicht in Deutschland verstecken. Ihr habt alle eine gute Ausbildung. Versucht eure Berufe auszuüben. Ihr werdet es schaffen.”
Warten auf das Ende der Doktorarbeit
Besonders enttäuscht ist Islam Günebakan von seinen ehemaligen Kollegen:
“Ich hatte gerade meine Doktorarbeit zu Ende geschrieben. Ich musste noch vor der Universitätsjury meine Doktorarbeit verteidigen. Weil ich aber per Dekret entlassen wurde, hat mein Betreuer Ibrahim Seyrek seine Aufgabe nicht mehr ausgeübt. Später hat sich ein anderer dazu Betreuer bereit erklärt und ich konnte vor der Universitätsjury meine Doktorarbeit verteidigen.
Als sie gemerkt haben, dass ich per Dekret entlassen wurde, haben sich die Jurymitglieder beraten und sich entschieden ihr Amt niederzulegen. Ich bin dann zum Leiter meines Fachbereichs Prof. Arif Özsağır gegangen, damit wir eine Lösung finden. Er sagte nur, dass niemand sich in meinem Fall bereit erklärt Jurymitglied zu werden. “Wenn es nach mir ginge, sollte man dich nicht einmal als Studenten akzeptieren. Man sollte dir sogar die Staatsbürgerschaft entziehen,” soll der Hochschulprofessor Özsağır gesagt haben.
“Auch wenn ich im Gefängnis sein oder verurteilt sein sollte darf das Recht auf Bildung nicht gehindert werden. Mein Recht auf Bildung wurde mir weggenommen, bevor überhaupt ein Gerichtsverfahren gegen mich angefangen hat – und das von Professoren,” empört sich der Wissenschaftler.
“Meine Familie behandelte mich wie einen Terroristen”
Neben der Entlassung per Dekret leidet Günebakan besonders daran, dass seine Familie ihn nicht unterstützt hat.
“Nachdem ich entlassen wurden, habe ich meine Mutter angerufen. ´Dann wärst du mit ihnen eben nicht in Verbindung gewesen,´war ihre Reaktion. Sie hat neben mir den Nachrichtensender “A Haber” (Anm. d. Red. Sender, der regelmäßig gegen Regierungsgegner hetzt und praktischer Kontrolle von Präsident Erdoğan ist). Sie hat sich die Flagge geschnappt und hat immer wieder an den “Demokratie-Meetings” teilgenommen. Später merkte sie wer im Recht und wer im Unrecht war. Aber ihre ersten Reaktionen haben sich in mein Herz eingebrannt.
Nach meiner Entlassung war ich zu einem meiner Brüder gegangen. ´wenn es einen Bürgerkrieg gäbe würde ich dich auf der Straße töten, egal ob Bruder oder nicht.´Ähnlich mein Schwiegervater. ´Wenn wir auf die Straßen (Anm. d. Redakton in den Bürgerkrieg) gehen sollten, wären die ersten, die ich erschieße meine Tochter und mein Schwiegersohn.´
´Der Staat darf das. Neben den Schuldigen wird es sicherlich auch Unschuldige geben. Das ist etwas notwendiges,´sagte mein Vater. Als ob das nicht reicht, bekamen meine Kinder in der Schule auch den Druck zu spüren, weil sie zu diesen oder jenen gehören sollen.”
Versuchen auf den Beinen zu stehen
Nach dem Günebakan entlassen wurde und keine Hilfe von seiner Familie bekommen hat musste er alleine einen Ausweg suchen.
“Zuerst habe ich Tomatenmark verauft. Aber das ist nur Saisonarbeit. In dieser Zeit hatte die Polizei bei mir zu Hause eine Razzia gemacht. Sie suchten nach mir. Mit einer gefälschten Identität habe ich dann angefangen als Taxifahrer zu arbeiten. Manchmal kamen die Polizisten zu unserem Taxistand um sich mit den Fahrern zu unterhalten. Sie wussten, dass ich per Dekret entlassen wurde. Eine von ihnen fragte mich, ob ich Fethullah Gülen mag. Ich erwiderte, dass ich respektiere. ´Dann bist du ein Ungläubiger,´sagte er zu mir. Alle dort waren wie festgefroren. Ich merkte, dass ich diesem Land nicht mehr die Chance habe zu leben. Ich entschied mich das Land zu verlassen.”
Schwimmend den Granzfluss Mariza überquert
Günebakan hatte den Menschenschmugglern nicht getraut. Er wollte den Grenzfluss Mariza alleine überqueren und später seine Familie rüberbringen. “Ich habe auf den Landkarten nach einer Möglichkeit gesucht, wo ich am besten rüberkommen kann. Meine Freunde, die zuvor den Fluss überquert hatten, rieten mir mit einem Taxi in die Nähe des Mariza zu fahren. Während ich rüberschwomm, hielt ich meine Tasche fest.
Als ich in Griechenland angekommen war, wollte ich zunächst dort bleiben. Ich ließ mich in Thessaloniki nieder. Es war dort sehr heiß. Ich besuchte einen Griechischkurs. Natürlich musste ich auch meine Ehefrau und unsere Kinder rausholen. Ich hatte versprochen zurückzukehren, wenn ich es nicht schaffe, sie auch ins Ausland zu bringen.
Ich hatte meiner Frau und einem Freund Koordinaten am Ufer des Mariza gegeben, zu dem sie kommen sollten. Ich hatte in Thessaloniki ein Schlauchboot gekauft und ein Auto gemietet, um ebenfalls zum Fluss zu gelangen. Ich musste das Boot mit meinem Auto aufpusten und hatte deswegen keine Kraft mehr. Die Strömung war sehr stark und ich hatte Schwierigkeiten das andere Flussufer zu erreichen. Neben meiner Familie hatte am anderen Flussufer auch die Familie meines Freundes gewartet. Wir waren dann zu zehnt im Boot, weswegen es sich kaum bewegt hat. Ich bin dann ins Wasser gesprungen und merkte, dass ich Boden unter den Füßen habe. Also schob ich dass Boot wieder zurück auf die griechische Seite.
In Thessaloniki hatten wir finanzielle Schwierigkeiten. Es gab eine Ausgabestelle, die Flüchtlinge jeden Tag zwei Mal mit Essen versorgte. Ich hatte dann von dort Essen für uns organisiert. Eine Zeit lang ging das so weiter. Es war sehr schwierig dort eine Arbeit zu finden.
Anfangszeit in Deutschland
Später habe ich meine Frau und Kinder auf eine gefährliche Schiffsreise nach Italien geschickt. Anschließend bin ich alleine nach Deutschland gekommen.
Mein Ziel war es in meinem Beruf weiterzumachen. Ich hatte rund 10 Professoren angeschrieben. An einer Universität gab es ein Programm, das sich ´Integrationskampuss” nennt. Ich hatte mich dafür beworben. Ich hatte ihnen dort erzählt, dass ich meine Doktorarbeit nicht beenden konnte. Ich wurde für das Programm akzeptiert und bekamm die Gelegenheit meine Doktorarbeit auf Englisch zu beenden. Ich entschied mich zuerst aber Deutsch zu lernen. Ein Professor der katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt hatte mich kontaktiert und jetzt arbeite ich an meiner Doktorarbeit. Ich besuche hier zudem Vorlesungen. Wenn ich meine Doktorarbeit beendet habe, würde ich gerne an der Universität bleiben.”
“Sprache lernen ist kein großes Problem”
Die neu ankommenden Flüchtlinge aus der Türkei müssten ihre Traumata und Ängste zurücklassen. Der Doktrand empfiehlt sich im Leben sichtbar zu machen. “An meinem Wohnort gibt es einen Ausländerbeirat. Die Mitglieder werden alle fünf Jahre gewählt. Sie entwickeln Projekte für Zuwanderer, damit sie sich besser integrieren können. Ich möchte mich auch zur Wahl stellen. Im Juli wird gewählt.
Wenn die Menschen in Deutschland ankommen, sehen sie das Lernen der neuen Sprach als großes Problem an. Sie denken, ohne die Sprache kann mich hier nicht einmal bewegen. In der Kommunikation gibt es drei wichtige Faktoren: Sprache, Ton und Körpersprache. Sprache sind etwa 20 Prozent der Kommunikation. Anfangs habe ich mich mit Englisch, Türkisch und ein wenig Deutsch verständigt. Es geht nicht nur darum fehlerfrei Deutsch zu sprechen, sondern eine Verbindung aufzubauen, seine Probleme erzählen zu können.
“Seid sichtbar und hört auf Angst zu haben”
“Ängste wie nicht hörbar nicht sichtbar sein, nicht wahrgenommen werden gibt es bei den neu ankommenden Flüchtlingen aus der Türkei. Das ist ein großes Hindernis beim Vorankommen. Das sind Ängste aus der Türkei. Sie haben sogar Angst in Gruppen der Messengerdienster “WhatsApp” und “Telegram” zu sein. Wir müssen das alles hinter uns lassen.
Nicht Sprache, sondern Angst ist das Problem
Ich bin zu einer Veranstaltung von “Amnesty” gegangen, als ich auf dem B1-Niveau war. Ich habe damals kaum etwas verstanden. Ich habe mich vorgestellt und erzählt, was ich in der Türkei durchgemacht habe. Ich wollte mithelfen. Sie sagten, dass sie bald in der Innenstadt einen Stand aufmachen werden und dass ich auch dabei sein könne. Inzwischen nehme ich an ihren wöchentlichen Veranstaltungen teil.
Wäre ich in der Türkei, wäre ich in Handschellen gewesen. Hier habe ich meine Freiheit. Der Staat gibt hier mir Möglichkeiten und tut hier mehr für mich als meine Eltern es für mich getan haben.Ich bin nicht auf andere angewiesen.
Flüchtlinge sollten also nicht nur zu einem Deutschkurs gehen. Sie sollten sich auch ehrenamtlich beteiligen. Wir sollten auch unsere Erfahrungen an die neuen Flüchtlinge geben, weil wir inzwischen auch eine gewisse Erfahrung gemacht haben.”
“Auch wenn man nicht in seinem alten Beruf arbeiten kann, dann wenigsten etwas ähnliches”
Günebakan teilt die Meinung vieler Flüchtlinge nicht, dass man hier nur gewöhnlicher Arbeiten werden können.
“Ab meiner Universität gibt es einen Studentclub. Sie entwickeln dort Autoprototypen. Ich habe mich bei ihnen als freiwilliger Helfer beworben. Jetzt mache ich die Mitgliederkartei und kümmere mich um die Emails und das, als ich noch auf B1-Niveau war. Es hat sehr viel dabei geholfen die Sprache zu lernen.
Die meisten der Flüchtlinge aus der Türkei sind Lehrer. Zunächst hieß es, dass solche in ihrem alten Beruf in Bayern nicht arbeiten könnten. Manche wollten gewöhnlicher Arbeiter oder LKW-Fahrer werden. Vielleicht kann man nicht an einer regulären Schule arbeiten, aber im Bildungsbereich gibt es auch andere Möglichkeiten, z.B. An Nachhilfeschulen.
Sagt nicht ´ich kann nicht als Lehrer werden und deswegen werde ich LKW-Fahrer.´Wenn ihr nicht in euren Fächern arbeiten könnt, dann zumindest in einem anderen Fach.
Der Text wurde für die deutsche Übersetzung redaktionell bearbeitet. Das Original finden Sie hier.