Krieg, Entführungen aus dem Ausland und der Putschversuch: Wie all diese Ereignisse dem türkischen Staatspräsidenten nutzen und in Zukunft vielleicht nicht mehr, hat jetzt der Exil-Journalist Can Dündar analysiert.
Aktuelle Umfragewerte in der Türkei verheißen dem amtierenden türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan keine blumigen Zeiten. Wie die aktuellen Ergebnisse von Metropol, einem renommierten Meinungsforschungsinstitut der Türkei zeigen, sind die Beliebtheitswerte Erdoğans stark gesunken. So ist in einer Grafik von Metropol erkennbar, dass zwischen 2013 bis 2019 die Zahl der Erdoğan-Befürworter von etwa 70% auf 40% gesunken ist. Der Exil-Journalist Can Dündar hat die Werte im Laufe der Zeit genauer unter die Lupe genommen und interessante Feststellungen gemacht. So schreibt Dündar, dass immer dann, wenn die Zustimmungswerte von Erdoğan sinken, sich Großereignisse, wie beispielsweise ein militärischer Einmarsch, Entführungen von Kritikern aus dem Ausland oder der Putschversuch ereignen. Dündar beantwortet auch die Frage “Qui bono?”. Solche außergewöhnlichen Ereignisse helfen stets Erdoğan und bringen seine fallenden Werte wieder in die Höhe.
So stellt Dündar fest, dass Erdoğan bis Ende 2013 einen Zustimmungswert von 71,1% einholte, bevor dieser Wert nach dem Bekanntwerden des Korruptionsskandals auf bis zu 48% sank. Historischen Tiefstand hatte die Beliebtheit Erdoğans im Sommer 2015 mit nur 37,5% verzeichnet.
Verhandlungen mit Kurden enden im Krieg
Can Dündar stellt einen Zusammenhang zwischen Erdoğans fallenden Werten in 2015 und dem Ende der friedlichen Prozesse mit den Kurden fest: “In 1,5 Jahren sinkt der Zustimmungswert um die Hälfte. Er (Erdoğan) muss etwas tun. Die Verhandlungen mit den Kurden werden beendet und entwickeln sich zu einem Krieg”. Laut Dündar hat sich Erdoğan in der Kurdenfrage bewusst für Krieg und Vernichtung entschieden, nur um seine sinkenden Werte aufzubessern. Die nationalistischen Gefühle der Türken seien wieder in den Vordergrund getreten, sodass die Werte der AKP innerhalb von fünf Monaten um ganze 10% stiegen. Dennoch: Mit diesen Werten kann Erdoğan nicht in die wichtige Präsidentschaftswahl. Dafür braucht er noch mehr Stimmen. Plötzlich passiert in der Türkei etwas, was das ganze Land in den Ausnahmezustand versetzt: Der Putschversuch vom 15. Juli 2016. Der Zustimmungswert steigt auf 67,6% und ist somit wieder nah dran an den Werten von 2013. In dieser Atmosphäre wird Erdoğan auch tatsächlich zum Staatspräsidenten gewählt. 2018 fällt der Wert allerdings wieder runter auf 43%. Laut Dündar findet Erdoğan die Lösung für dieses Problem im Einmarsch in Syrien. Das türkische Militär marschierte am 9. Oktober 2019 in Syrien ein und bekämpfte dort die kurdische Miliz YPG von Rojava. Qui bono? Zwar stieg der Wert Erdoğans in der türkischen Bevölkerung wieder etwas an. Doch die letzte Untersuchungen zeigen weiterhin einen Abwärtstrend. War der Einmarsch in Syrien diesmal nicht mehr genug? Deshalb habe man der türkischen Armee die Zustimmung für den Einmarsch in Libyen erteilt. Laut Can Dündar hat die türkische Bevölkerung diese Erdoğansche Politik der Krisen allmählich durchschaut. Doch, so glaubt Dündar, wird ihm dieses Spiel nicht mehr nutzen, wenn das türkische Volk die Augen gegenüber Erdoğan vollständig öffnet.