Nachdem der Journalist Ismail Saymaz in seinem jüngsten Text die Behauptung aufgestellt hat, die Gülen-Bewegung hätte keine Wissenschaftler hervorgebracht, ist ein neuer Streit entfacht. Stimmt diese Behauptung oder ist sie unwahr? Ein Blick in die Archive klärt diese Frage.
von Muhammet Ali Toksoy
Fotos von einer Schule in der Schweiz und ein begeisterter Ismail Saymaz. Über die erfolgreichen Schulen im reichen, europäischen Kleinstaat kommt der Journalist Saymaz zu seiner anklagenden Frage, warum es so gute Schulen nicht auch in der Türkei gebe.
Zeitgleich entfachte Saymaz mit diesem berechtigten Vorstoß einen neuen Streit. Auf seine Postings reagierte der türkische Exil-Journalist Adem Yavuz Arslan und stellte seinerseits fest: Es habe vor dem Ausnahmezustand auch in der Türkei erfolgreiche Schulen gegeben, die nach dem Putschversuch geschlossen wurden. Gemeint sind die Schulen, die durch Anhänger der Gülen-Bewegung betrieben wurden. Die Bewegung um den im US-Exil lebenden Prediger Fethullah Gülen hatten in der Türkei seit den 90er Jahren Hunderte Bildungseinrichtungen hervorgebracht. Darunter auch zahlreiche private Universitäten. Doch seit dem die türkische Regierung die Bewegung des Gelehrten für den Putschversuch vom 15. Juli 2016 verantwortlich macht und alle Einrichtungen der Bewegung entweder schließen lässt, verstaatlicht, oder an andere Träger überträgt, ist die Gülen-Bewegung in der Türkei vollständig aufgelöst. Selbst der lose Kontakt zwischen Sympathisanten gilt derzeit als ein Straftatbestand und wird durch die Sicherheitsbehörden verfolgt.
Auf die Kritik von Ismail Saymaz reagierte Adem Yavuz Arslan verbittert. Er warf seinem Kollegen vor, die Schließung der Gülen-Schulen durch die türkische Regierung unterstützt zu haben. Seine Haltung, es fehle in der Türkei an erfolgreichen Schulen, bewertet Arslan deshalb als Heuchelei. Auf den Vorstoß von Arslan antwortete Saymaz wiederum prompt und stellte die Behauptung auf, dass aus den Bildungseinrichtungen der Gülen-Bewegung keine Akademiker hervorgegangen seien.
O okullardan yüzlerce vardı ismail.
Taliban zihniyetli AKP'liler yağmalayıp imam hatibe çevirirken siz de alkışlıyordunuz.
Bilmiyormuş, haberi yokmuş gibi yapmayı bırak https://t.co/lxPQJGgltt
— ADEM YAVUZ ARSLAN (@ademyarslan) March 1, 2020
Doch stimmt das tatsächlich? Waren die Einrichtungen der Gülen-Bewegung erfolglos? Stimmt die Anschuldigung von Saymaz, dass sie nur erfolgreich wären, weil sie die Fragen von staatlichen Prüfungen vorher kannten? Dabei waren die Schulen der Gülen-Bewegung in der Türkei einst durchaus gefragt. Um jedoch den Erfolg der Schulen zu bemessen, ist ein Blick auf internationale Wettbewerbe und Rankings nötig.
Diese Gymnasien, auch “Kolej” genannt, sind nicht unbedingt die Orte, aus denen Wissenschaftler hervorgehen, doch sie ebnen den zukünftigen Akademikern den Weg und bereiten Sie auf ein erfolgreiches Studium vor. Schließlich müssen alle erfolgreichen Wissenschaftler in ihren Bildungswegen gefördert und unterstützt werden. In der Türkei ist die Einrichtung für das akademische Talentscouting die Türkische Anstalt für Wissenschaftliche und Technologische Forschung mit Sitz in Ankara, kurz TÜBITAK, verantwortlich. TÜBITAK veranstaltet zu diesem Zweck die “Nationale Wissenschaftsolympiade.” Die ehemaligen Schulen der Gülen-Bewegung haben bei diesen Olympiaden über mehrere Jahre hinweg Tausende Medaillen gesammelt. Da Saymaz diesen Erfolg auf das Stehlen von Fragen zurückführen könnte, lohnt sich der Blick auf Internationale Wissenswettbewerbe.
Die türkische Sehnsucht nach internationalen Auszeichnungen
Das erste internationale Wissenswettbewerb fand im Jahre 1959 in Rumänien statt. Seither findet diese renommierte Veranstaltung jährlich an einem anderen Austragungsort statt. Die Türkei nimmt seit Ende der 70er Jahre an diesem Wettkampf teil. Einige wenige Bronze- und Silbermedaillen, keine einzige Goldmedaille waren das mickrige Resultat eines schlechten Bildungssystems. Doch 1993 holte ein Schüler einer Gülen-Schule im Fachbereich Physik erstmals eine Goldmedaille für die Türkei. Aufgrund dieser historischen Leistung wurde der Schüler auf der Titelseite der Zeitschrift von TÜBITAK gezeigt. Heute wurde diese Schule, die den Namen Yamanlar College trug und in Izmir ansässig war, per Dekret geschlossen. Dieser Erfolg begeisterte Millionen Schülerinnen und Schüler in der Türkei. Im darauf folgenden Jahr wiederholte dieser Schüler der “Yamanlar College” seine Leistung und brachte der Türkei die zweite Goldmedaille ein. Rund drei Jahre danach, also 1996 holte ein Schüler der Istanbul”Fatih College” die erste türkische Goldmedaille im Fachbereich Biologie. Im darauffolgenden Jahr gelang es einem weiteren Schüler der “Yamanlar College” den ersten Platz in Biologie zu besteigen. Ein weiterer Erfolg wurde bei den Mathematik- Olympiaden im Jahre 1999 gefeiert. An dem Wettbewerb nahm die Türkei seit 40 Jahren teil. Bei der 41. Teilnahme holte wieder ein Schüler der “Yamanlar College” die erste Goldmedaille der Türkei bei der internationalen Mathematikolympiade.
Goldmädchen der Türkei
Nach den ersten internationalen Goldmedaillen im Bereich Wissenschaft, gab es in der Türkei noch etwas nachzuholen: Bis zum Jahr 2006 hatten ausschließlich Jungen Goldmedaillen für die Türkei gewonnen. 2006 kam dann der große Durchbruch. Eine Schülerin des Yamanlar College gewann im Bereich Chemie Gold für die Türkei. Nach diesem Erfolg wurde die Siegerin in der Türkei als das “Goldmädchen” bezeichnet.
Damit war der letzte Schritt getan und die Türkei belegte in den meisten internationalen Schülerwettbewerben gute Ränge. Bis 2016 gewannen türkische Schülerinnen und Schüler etwa 500 Medaillen. Die meisten davon, nach einigen Schätzungen sogar um die 90%, sind Schülerinnen und Schülern aus Gülen-nahen Schulen zuzuschreiben.
Und auch heute noch finden sich viele Absolventen von Schulen der Gülen-Bewegung in renommierten internationalen Institutionen und innovativen Unternehmen. Darunter beispielsweise international angesehene Institutionen in der Forschung wie die Weltraumbehörde NASA oder der Computer-Riese Microsoft.
In der Türkei stehen die Bildungsaktivitäten der Gülen-Bewegung nun still. Die Regierung des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan hatte eigentlich bereits 2012 die ersten Schulen unter Zwangsverwaltung gestellt und nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 alle Bildungseinrichtungen der Bewegung geschlossen. Viele dieser Schulen wurden in religiöse sog. Imam Hatip Schulen umgewandelt. Das sind Schulen, die eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung ermöglichen, aber als Berufsschule für für die islamische Religionslehre gelten. Früher konnten Absolventen dieser Schulen Theologie oder ähnliches studieren. Heute hat sie die türkische Regierung mit allen anderen Schulen gleichgestellt.
Keine Berichte mehr über Erfolge in der türkischen Presse
Bei regelmäßiger Lektüre der türkischen Presse fällt auf, dass über Erfolge in Schülerwettbewerben kaum noch berichtet wird. Das war bis 2016 anders.
Gülen betonte immer wieder die enorme Bedeutung dieser Schulen für eine gute Zukunft in der Türkei. Die Gülen-Bewegung bat sogar an, die Schulen freiwillig an den Staat zu übergeben, sofern diese mit demselben System weiterarbeiten würden. Dies lehnte die Regierung aber strikt ab und entschied sich für ihre Umwandlung in Imam Hatip Schulen oder ihre komplette Schließung.