Die Türkei schickt in der Corona-Krise Hilfen auch an Wirtschaftsnationen. Während in diesen Ländern Textilarbeiter zu Hause bleiben dürfen und finanziell unterstützt werden, müssen die eigenen Arbeiter Überstunden machen.
Eine Anlyse von Fatih Yurtsever
Im Kampf gegen das Coronavirus haben viele europäische Staaten ihre Grenzen abgeriegelt und einen nationalistischen Weg gewählt. Das Erdoğan-Regime hingegen hat dagegen nach Informationen des Kommunikationschefs des Präsidenten, Fahrettin Altun, in 54 Ländern medizinische Hilfen geschickt.
Ein englischer Minister teilt zur Beruhigung seiner Bürger mit, dass die Türkei Hilfen geschickt hätten. Der Nato-Generalsekretär lobt die medizinischen Hilfen der Türkei für andere Staaten. Beachtet man die entstandene Wahrnehmung, so kämpft Erdoğan nicht nur in seinem eigenen Land gegen Covid-19, sondern streckt auch der gesamten Welt seine helfende Hand aus. Doch stimmt alles, was erzählt wird? Hilft Erdoğan aus humanitären Gründen?
Nach Ansicht des Untergangs-Forschers Yves Clothes bedeutet Untergang, wenn ein Staat oder Regime es nicht schafft , dass seine Bürger ihre durch Gesetze garantierten Grundbedürfnisse (Lebensmittel, Wasser, Unterkunft, Gesundheit u.ä.) nicht mehr befriedigen kann. Für das Erdoğan-Regime ist es momentan das wichtigste, die Menschen im Ausland davon zu überzeugen, dass es in der Türkei keinen Untergang gibt und stattdessen Normalität. Das kleinste Zeichen für einen Systemwechsel würde Alternativen ins Spiel rufen.
Der Grund warum sich das Erdoğan-Regime bislang an der Macht halten konnte ist die sehr gute Planung seiner strategischen Kommunikation. Die strategische Kommunilation ist dafür da, dass die gewünschten Botschaften in einer koordinierten Weise auf eine bestimmte Gruppe trifft und dort den gewünschten Effekt bringt. Zudem koordinert sie die Wahrnehmung, die Beziehungen zur Gesellschaft, die Kriegspropaganda- und Führung.
Wenn wir das Ganze aus dieser Perspektive betrachten, hat Erdoğan vielen Menschen in anderen Staaten Hilfen in Aussicht gestellt und gleichzeitig im eigenen Land nur begrenzte Hilfen zugesichert. Besonders die Arbeiterklasse in der Türkei muss arbeiten um überleben zu können. Die Textilbranche gehört zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen des Landes. Nach den Aussagen von Fahrettin Altun handelt es sich bei den mesiten Hilfen um Textilprodukte. Während in Großbritannien, Italien und Schweden Arbeiter Hilfen erhalten müssen Textilarbeiter in der Türkei arbeiten um überleben zu können. Sie müssen Gesichtsmasken herstellen, die mittels regierungsnaher Geschäftsleute als Hilfen ins Ausland gebracht werden.
Während im eigenen Land Menschen auf Masken warten müssen, werden diese ins Ausland geschickt. Ständig werden Nachrichten über die Hilfen ins Ausland veröffentlichen. Damit wird den Menschen in der Türkei gesagt, dass die Türkei so stark ist auch ins ihre helfende Hand auszustrecken. Trotz negativer Entwicklungen im Land hält das Erdoğan-Regime seine Macht aufrecht. Mit dem neuen Strafvollzugsgesetz sind in den türkischen Gefängnissen zehntausende Menschen dem Tod ausgesetzt. Dennoch wird durch die Hilfen ins Ausland das humanitäre Gesicht des Erdoğan-Regimes gezeigt.
Betrachten man die Hilfsgüter aus der Türkei, so sind es vor allem per Hand hergestellte Waren. Diese Waren werden in Schneidereien des Verteidigungsministeriums oder in Schneiderschulen oder Gefängnissen hergestellt. In der Türkei darf nur der Staat Atemschutzmasken verteilen. Die Produktion und Verteilung ist in der Hand eines Monopols. Während Bürger Schlangen vor Apotheken für Atemschutzmasekn bilden, werden diese als Hilfen ins Ausland geschick. Dabei stellt sich die Frage, ob der Staat, an das die Schutzkleidung- und Masken gehen nicht selbst in der Lage ist, diese selbst zu produzieren. Natürlich nicht. Diese Arbeiten sind wegen der geringen Lohnkosten schon zuvor in Länder wie Bangladesch, China oder die Türkei ausgelagert worden. Besonders die türkischen Bürgern sollten sich zudem fragen, warum die Augen im Land auf den Westen gerichtet sind, wenn es um einen Impfstoff gegen Covid.19 geht.
Erdoğan nutzt die Corona-Pandemie zu eigenen Zwecken und öffnet die Türen für den Dialog um von anderen Staaten wirtschafliche Hilfen zu erhalten. Besonders die Hilfen für Großbritannien sollten aus diesem Blickwinkel betrachtet werden. Während viele NATO-Staaten keine erste Hilfe leisten konnten, hat Erdoğan mit A400-Flugzeugen Hilfen für andere Mitgliedsstaaten gerbacht und damit das Verteidigungsbündnis unterstützt.
Am 15. april wurden beim Treffen der NATO-Außenminister die Hilfen des Erdoğan-Regimes gelobt. Der mächtige Mann aus Ankara konnte dadurch sein angeschlagenes Image wegen der Krise um das von Russland gekaufte Abwehrsystem vom Typ S-400 wieder aufpolieren.
Kurz gesagt werden die internationalen Hilfen nicht aus humanitären Gründen, sondern sollen dem In- und Ausland gleichermaßen die Botschaft senden: „Ich bin nicht untergangen, ich stehe aufrecht.“ Urteilt man nach den Raktionen, ist der türkische Präsident auch ziemlich erfolgreich damit. Solange Erdoğan die Wahrnehmung steuern kann und die Anzeichen für einen Untergang verbergen kann, wird er sein Regime an der Macht halten können – so lange bis eine wirklich starke Stimme „der König ist nackt“ sagt.
Die deutsche Übersetzung wurde redaktionell überarbeitet. Das Original finden Sie hier.