Am 41. Jahrestag des Massakers an den Aleviten in Maraş diskutiert man in der Türkei , ob Hinter den Progromen eine “Kultur der Plünderung” steckt.
BOLD-Redaktion
Eine Woche vor dem 19. Dezember hatte im “ Çiçek-Kino” ein Film gestartet. In der Hauptrolle des Films “Güneş Ne Zaman Doğacak” (übersetzt: Wann geht die Sonne auf) spielt Cüneyt Arkın. In dem Film geht es um eine turkmenische Familie in der Sowjetunion und ihre politischen sowie wirtschaftlichen Probleme. Der Film nährt die Feindschaft zu Russen und fördert nationalistische Gefühle. Von 11 Uhr morgens bis um Mitternacht lief der Film in dem Kino.In das “Çiçek-Kino” wurde dann am 19. Dezember 1978 eine “Geräusch Bombe” geworfen. In dem Filmtheater, wo der Lieblingsfilm der Nationalisten, den sog. Ülkücüler, gespielt wurde, soll ein Anschlag von den “Kommunisten” verübt worden sein, lautete damals der Vorwurf.In der Stadt machten Gerüchte die Runde, dass Aleviten zeitgleich Anschläge auf Sunniten und Moscheen verüben werden. Die Geräuschbombe auf das Çiçek-Kino diente als Beweis.
Geheimdienst MIT bei der Arbeit
Laut dem ehemaligen Abgeordneten der HDP und Drehbuchautor Sırrı Süreyya Önder hatte der türkische Geheimdienst MIT bei der Vorbereitung des Massakers ihre Finger im Spiel. Vor dem Massaker wurden die Struktur des MIT in der Gegend geändert und das Personal ausgetauscht. Nach den Änderungen wurde der Informationsfluss an die Zentrale vollkommen eingestellt. Der MIT schürte den Nationalismus in der Stadt.
Zwei Lehrer mit Waffen getötet
In der Stadt begannen Angriffe auf die Läden von Aleviten und Kurden. Am 21. Dezember wurde mit der Ermordung der alevitischen Lehrer Hacı Çolak und Mustafa Yüzbaşıoğlu ein vorläufiger Höhepunkt erreicht. Als die Leichen am 22. Dezember in eine Mosche gebracht wurden, hatte eine Gruppe von Nationalisten das Totengebet für die beiden Lehrer verhindert. Am selben Tag hatten die als extrem rechts bekannten Ülkücüs (Grauen Wölfe) Informationen in sunnitischen Vierteln verteilt. Demnach sollten am nächsten Tag Sunniten von bewaffneten linken Aleviten angegriffen werden.
Beginn des Progroms
Gegen Ende der Ereignisse am 23. Dezember sah man in Kahramanmaraş, dass das Ganze zu einem Progrom an den Aleviten und Linken ausgeartet ist. Bei den 7 Tage anhaltenden Ereignissen waren nach offiziellen Zahlen am Ende 111 Personen getötet worden. Über 200 Häuser von Aleviten wurden in Brand gesetzt und rund 100 Ladenlokale zerstört. Nach Informationen der Zeitung “Evrensel” geht Hamit Kapan von weit mehr toten aus. Kapan wurde vom Staats als Verantwortlicher des Massakers beschuldigt. Er soll zudem der linken Organisation “Dev Savaş “ angehören. “Im Leichenschauhaus des Krankenhauses wurde den Toten Nummern an ihre Zehen gehangen. Zuletzt hatten wird die Nummer 1306 gesehen,” sagte Kapan.
Eigentliche Motivation Bereicherung
Sırrı Süreyya Önder zufolge sei es falsch, wenn man hinter dem Massaker nur einen Konfessionskampf sieht. Hinter dem Massaker stecke auch ein Vermögenstransfer, so Önder. Mehr als Todesfälle soll es Plünderungen gegeben haben.
Hinter den verscheidenen religions- und konfessionsmotivierten Massakern in der Geschichte Türkei steckt immer auch eine Bereicherung. Bei den Massakern am 6. und 7. September 1955, deren Opfer die griechische Minderheit war und viele von ihnen ihr Leben verloren haben, war es sogar der wichtigste Grund. Das Hab und Gut der Griechen, ihre Häuser, Geschäfte und sogar Fabriken wurden entweder beschlagnahmt oder weit unter Wert Preisen abgekauft. Immer noch sind Behauptungen im Umlauf, dass der Ursprung des Vermögen vieler reicher Türken in denen dieser Griechen liegt.
In der jüngeren Vergangenheit ist die Gülen-Bewegung mit der selben Situation konfrontiert. Gegen 550.000 Gülenisten wurden Ermittlungen eingeleitet und es sind immer noch 30.000 von ihnen im Gefängnis. Einige von ihnen haben die Türkei verlassen und Asyl in europäischen Staaten beantragt. Das Erdoğan-Regime hat das Hab und Gut, Häuser und Konten von Gülenisten beschlagnahmt. Einer von ihnen ist der ehemalige Geschäftsmann Akın İpek. Sein Bruder Ali ist in der Türkei in Haft. Akın İpek lebt heute im englischen Exil.