Der inhaftierte Lehrer Önder Bozkurt wurde in Polizeigewahrsam gefoltert, schreibt der Mann in einem Brief. Auch seine Ehefrau musste tagelang auf dem Polizeipräsidium einiges über sich ergehen lassen.
Von Sevinç Özarslan
(Aus dem Türkischen von Sven Weber)
Am 19. Februar 2018 wird Önder Bozkurt gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinen Kindern in Gümüşhane festgenommen. In einem Brief an den Menschenrechtler und Abgerodneten Ömer Faruk Gergerlioğlu (HDP) schildert er die anschließende Folter in Polizeigewahrsam. “Es ist unmöglich diese ein wöchige Tortur zu vergessen. Es hat tiefe Spuren in unserem Leben hinterlassen. Wir wurden gemeinsam mit unseren beiden Kindern festgenommen. Neben Beleidigungen und Anschuldigungen musste ich eine Woche lang jeden Tag in Handschellen stehen. Jeden tag wurde das systematisch durchgeführt. Es wurde gegen mich auch physische Gewalt angewendet. Ich möchte Sie nicht in Trauer versetzen, in dem ich Ihnen die Details erzähle.”
“In anderen Städten machen sie schlimmeres”
Nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 wurden Menschen festgenommen und anschließend in allen Teilen des Landes gefoltert. Besonders in den Polizeipräsidien in İstanbul, Ankara, Afyon, Bartın, Aksaray und Mersin hatten anshließend Opfer über ihre Tortur berichtet. Bozkurt wurde von der Antiterrorpolizei TEM in Gümüşhane gefoltert, berichtet der Lehrer in seinem Brief an den Abgeordneten. Dabei habe sogar der Direktor der TEM sich lustig über Bozkurt gemacht. “Önder, hätte ich gewusst was die Kollegen mit dir machen, hätte ich das nicht zugelassen. Du solltest wissen, dass in anderen schlimmeres gemacht wird,” so Bozkurt. “Hätter er seine Worte erst gemeint, hätte er sofort Ermittlungen gegen die Folterer eingeitet.”
“Gericht nahm Folter nicht ins Protokoll auf”
Bozkurt erzählt, dass die Folter nicht ins Protokoll aufgenommen wurde. “Sie hatten mich mit meiner Ehefrau unter Druck gesetzt. Sie haben unheimlichen druck auf mich ausgeübt. Ich habe das alles vor Gericht erzählt und auch schriftlich einegereicht. Nichts wurde aber unternommen. Nich nur, dass nichts unternommen wurde, sie haben sogar eine Höchststrafe verhängt.” Außer Wasser wurde ihr nichts gegeben
Auch seine Ehefrau Fatma wurde in Polizeigewahrsam beschimpft und schlimmstens beleidigt. “Sie musste stundenlang stehen. Dann gab es die schlimmsten Beleidigungen, die man nicht in den Mund nehmen möchte. Sie wurde von zwei männlichen Polizisten auf das Polizeirevier ins Polizeipräsdium in Gümüşhane Torul gebracht. Meine Ehefrau musste dort sechs Tage verbringen. Außer Wasser hat sie nichts zu sich genommen. Ich habe davon erst in einem Brief von meiner Frau erfahren, als ich ins Gefängnis gesteckt wurde,” schreibt der Lehrer in seinem Brief an den Abgeordneten.
“Als wir in Untersuchungshaft genommen wurden, hat man uns voneinander getrennt. Meine Tochter ging mit meiner Frau und mein Sohn musste bei mir bleiben. Meine Frau und meine Tochter wurden durch einen Polizisten und seine kollegin dann zur medizinischen Kontrolle ins Krankenhaus gefahren. Auf der Fahrt hatte der Mann dann immer wieder aufs Lenkread geschlagen und meine Frau gefragt, wie man sein Vaterlandsverrat begehen könne. Sie sei ein Terrorist sagte er ihr. Bei jedem Mal als dieser Polizist aufs Lenkrad geschlagen hatte, hat sich meine Tochter sich an ihre Mutter noch
fester geklammert,” so der inhaftierte Lehrer.
10 Jahre Gefängnis
Nach dem das Ehepaar Bozkurt wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung festgenommen wurden, kamen sie zunächst ins Gefängnis von Gümüşhane und sitzen seit fünf Monaten in der Haftanstalt von Patnos. Das Strafgericht von Patnos hat das Ehepaar wegen Terrordelikten zu zehn Jahren Haft verurteilt. Der Fall liegt jetzt zur Berufung vor dem Kassationshof. Die Zeugen in dem Fall hätten ihre Aussagen zurückgezogen. Dennoch muss das Ehepaar zehn Jahre hinter Gittern verbringen.
Erzwungene Aussagen
“Was waren die Vorwürfe gegen uns: Es gab Aussagen gegen meine Frau und sie habe die Messenger-App “ByLock” verwendet. Und mir wurde angelastet, dass ich in den privaten FEM-Nachhilfeschulen vier Jahre zuvor gearbeitet habe. Das Strafgericht von Gümüşhane hat dennoch ein Urteil verhängt, dass absolut unverständlich ist. Das Urteil von meiner Frau stützt sich auf zwei Zeugen, die während des Gerichtsprozesses ihre Aussagen zurückgezogen hatten. Einer hatte gesagt, dass seine Aussage im Polzeirevier erzwungen wurde. Der andere gab zu, dass er eine Falschaussage gemacht habe. Dennoch wurde meine Frau nicht frei gelassen.
“Unsere Tochter bekam keine Muttermilch mehr”
Der Biologie-Lehrer Önder Bozkurt und seine Eihefrau Fatma, die Klassenlehrerin war, haben eine Tochter, Betül Hafsa (4), und einen Sohn, Bahadır (6). Seit 28 Monaten ist das Ehepaar von ihren Kindern getrennt. Auch beide Geschwister sind voneinander getrennt. Betül Hafsa lebt der Großmutter mütterlicherseits und Bahadır bei der Großmutter väterlicherseits. Nachdem die Mutter festgenommen wurde, konnte das Kind keine Muttermilch mehr bekommen, erzählt der Familienvater. Seine Ehefrau leide sehr unter den Folgen der Trennung von ihren Kindern und fordert deswegen ihre Freilassung.
“Unsere Tochter erinnert sich nicht mehr an uns”
Wegen der Maßnahmen gegen das Coronavirus kann Önder Bozkurt weder seine Frau noch seine Kinder mehr sehen. Anträge würden nicht bearbeitet werden. Zudem mache sich der Lehrer Sorgen um die Gesundheit seiner Ehefrau.
“Meine Frau hat derzeit sehr große psychische und seelische Probleme. Sie weint seit 27 Monaten ununterbrochen. Seit Jahren ist eine Mutter von ihren geleibten Kindern getrennt. Das hält doch niemand aus. Ich habe bei den zuständigen Behörden immer wieder Anträge gestellt. Es war alles umsonst. Unsere Tochter erinnert sich nicht mehr an uns. Unser Sohn hat dieses Jahr mit dem Kindergarten angefangen aber möchte nicht mehr dahingehen,” schreibt der Vater..
“Ich flehe sie an, sorgen Sie dafür, dass wir gehört werden”
Önder Bozkurt bittet um Hilfe: “Wir sind hilflos. Ich habe niemals eine Waffe in der Hand gehalten. Ich habe mein ganzes Leben lang versucht ein guter Mensch zu sein. Mit einigen Aussagen wurde ich zum Terroristen gebrandmarkt. Ist das so einfach zum Terroristen zu werden. Ich verstehe das nicht. Ich bitte Sie, helfen Sie uns damit unsere Stimme an den zuständigen Stelle gehört wird, damit sich meine Familie wenigsten ein wenig zusammenraufen kann, damit meine Frau wieder zu ihren Kindern kann. Wir haben keine Kraft mehr.
Der Text wurde für die deutsche Übersetzung redaktionell bearbeitet. Das Original finden Sie hier.